Das sexuelle Leben der Catherine M.
konnte als in Paris und wenn ich sorglose Beziehungen ohne ein Morgen eingehen konnte. Sosehr ich mir den Kopf zerbreche, fallen mir doch nur zwei Männer ein, die ich auf einer Reise getroffen und mit denen ich während dieser Reise im Bett war. Und damit meine ich nur ein einziges Mal, zwischen dem Frühstück und dem ersten Termin des Tages mit dem einen, während ich mit dem anderen eine Nacht verbrachte.
Dafür gibt es zwei Erklärungen. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn erklärte mir eine erfahrene Kollegin, dass Kolloquien, Seminare und andere Zusammenkünfte, bei denen Menschen zeitweise aus ihrem üblichen Rahmen herausgelöst sind und eine geschlossene Gruppe bilden, die Chance zu heimlichen Treffen in den Gängen eines Hotels bieten. Ich bewegte mich bei erotischen Treffen an ganz anderen Orten und vor allem unter viel mehr Menschen, trotzdem schockierte mich das genauso wie die Kleidung von Leuten, die normalerweise Wert auf ihre äußere Erscheinung legen, die jedoch formlose Klamotten anziehen, nur um zu zeigen, dass sie im Urlaub sind. Mit der Verbissenheit eines jungen Rekruten empfand ich das Vögeln als einen Lebensstil, ich meine das häufige Vögeln mit innerer Offenheit, egal, mit welchen Partnern. Wenn es anders war, wenn diese Sache immer nur unter bestimmten Bedingungen und in abgegrenzten Zeiträumen erlaubt war, war das für mich Karneval! (Ich mache an dieser Stelle eine Klammer, um mein strenges Urteil zu relativieren: Es ist bekannt, dass sexuelle Neigungen sich umdrehen können wie ein alter Regenschirm und dass die Bewehrung, die uns schützt, wenn der Wind aus Richtung Wirklichkeit bläst, ins Gegenteil umschlagen kann und wir durchnässt werden von den Sturmböen unserer Fantasien. Zum wiederholten Mal stelle ich Fantasie und Wirklichkeit gegenüber und möchte an dieser Stelle einen amüsanten Widerspruch hervorheben: Trotz meiner Abneigung, die ich gerade zum Ausdruck brachte, erregte mich die Vorstellung, die Bumse einer Gruppe von aufgeregten Kongressteilnehmern zu sein, die mich jeweils heimlich in der Nische einer Hotelbar nageln oder in einer Telefonzelle mit dem Hörer in einer Hand, während sie das übliche Gespräch mit der Gattin führen: »Ja, Schatz, es läuft alles sehr gut, nur das Essen …« – ein Szenario, das mich sicher den Zustand höchster Erniedrigung auskosten lässt.)
Im wirklichen Leben allerdings lassen sich die exotischen Abenteuer der Speläologin der Pariser Parkplätze in zwei Absätzen abhandeln. Der Assistent, der mich mitten in einer Hotelhalle an sich gedrückt hatte, weckte mich wirklich am nächsten Morgen. Netterweise ließ er mich ausschlafen nach unseren häufigen Ortswechseln in den Tagen zuvor; es war auf einer Reise durch Kanada. Er bewegte sein Becken ganz ruhig, ich ließ ihn machen, ich war nicht sehr engagiert, doch ich ermutigte ihn fast wie eine Professionelle, allerdings nicht mit ordinären Wörtern, sondern mit Wörtern aus meinem Liebesrepertoire. Danach sagte er ganz gelassen, dass er seit mehreren Tagen daran gedacht hätte, aber warten wollte bis zum Schluss, um unsere Arbeit nicht zu stören. Wir arbeiteten auch bei anderen Gelegenheiten zusammen, doch weder er noch ich machte je wieder eine auffordernde Geste. Es war das erste Mal, dass eine sexuelle Beziehung mit einem Mann, den ich wieder sah, nicht weiterging, dass sie nicht ganz natürlich die Erde der freundschaftlichen und beruflichen Beziehung tränkte. Ich muss dazusagen, dass ich damals in einer Phase war, in der ich mehr oder weniger erfolgreich versuchte, zwar nicht unbedingt treu zu sein, so doch mich zu mäßigen. Ich dachte, dies seien eben die lässlichen Sünden der Leute, die nicht freizügig sind. Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich einen sexuellen Kontakt irgendwie bereute.
Eine Episode aus Brasilien hinterließ bei mir ein noch komplexeres Gefühl. Ich kam zum ersten Mal nach Rio de Janeiro; von allen Leuten, deren Telefonnummern ich hatte, antwortete nur dieser Künstler. Der Zufall wollte es, dass er sich sehr gut in einem Kulturbereich Frankreichs auskannte, mit dem ich auch zu tun hatte, und so ergab es sich, dass wir uns bis spät in einem tristen Café von Ipanema unterhielten. Einige Jahre später kam er nach Paris, ich reiste noch ein, zwei Mal nach Brasilien. Nach dem Fest anlässlich der Biennale in São Paolo nahmen wir dasselbe Taxi. Er gab die Adresse meines Hotels an. Ohne den Blick vom Nacken des Fahrers zu nehmen,
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