Das sexuelle Leben der Catherine M.
streichelte ich seinen Schenkel. Dann gab er die Adresse seines Hotels an. Das Bett stand in einer verglasten Nische, die Leuchtreklamen warfen gelbe Muster á la Hopper darauf. Er legte sich nicht auf mich, er bedeckte mich nur stückchenweise mit Teilen seines Körpers, versicherte sich meiner Anwesenheit mit Händen, Lippen, Glied, auch mit seiner Stirn, seinem Kinn, Schultern und Beinen. Ich fühlte mich wohl, ich hatte unter den Auswirkungen einer Migräne gedöst, die ihn verrückt machte. Ich hörte ihn murmeln über das Wetter, immer dieses Wetter. Auch mit ihm gab es kein zweites Mal. Später, in einem Pariser Taxi, überkam mich eine große Freude, während ich ihn ansah, kaum auf seine zuvorkommenden Worte achtete und an die große Entfernung dachte, die uns trennte, an die lange Zeit, die zwischen unseren Treffen lag, auch wenn wir uns regelmäßig sahen – als ich einmal auf der Durchreise in Rio war, rief ich ihn nur kurz an –, ich dachte an dieses eine Mal, als der Raum und die Zeit zu einer vollkommenen Architektur verschmolzen waren.
Die andere Erklärung für die spärliche Zahl meiner Reiseabenteuer hat mit den Punkten zu tun, die ich im ersten Kapitel ansprach. Ich machte gern Entdeckungen, unter der Voraussetzung, dass ich einen Führer hatte. Es kam mir entgegen, wenn ein Mann mir von einem anderen vorgestellt wurde. Ich ließ mich lieber auf die Beziehungen der Bekannten ein, als mich zu fragen, welche Bedürfnisse ich hatte und wie ich sie befriedigen könnte. Außerdem waren es fast zwei verschiedene Dinge, sexuelle Beziehungen zu haben und Verlangen zu empfinden. Ich konnte ein starkes Verlangen nach Männern haben, mit denen nie etwas lief, und empfand dabei nicht die geringste Frustration. Ich war eine Träumerin mit einem Talent, Geschichten zu erfinden. Ein Großteil meines erotischen Lebens spielte sich so ab, angeregt durch die Reibung meiner Vulva zwischen Daumen und Zeigefinger. Der wirkliche Beischlaf stillte ein größeres Bedürfnis: sich einen Weg ohne Unebenheiten in der Welt zu bahnen. Wie gesagt entwickelte sich für mich in dieser Bequemlichkeit eine Art verschwörerische Vertrautheit – was man nicht findet, wenn man das erste Mal und ohne besondere Empfehlung in eine fremde Stadt kommt.
Bei vielen Männern erinnere ich mich vor allem an ihre Wohnung. Damit möchte ich nicht die anderen Erinnerungen schmälern, die ich an sie habe, sondern ich kann sie nicht aus ihrem Rahmen herauslösen und durch die spontane Rekonstruktion dieses Rahmens fallen mir Momente verliebter Freundschaft oder Einzelheiten des Körpers ein. Der Leser hat sicherlich schon gemerkt, dass ich schnell auf die Einrichtung einer Wohnung zu sprechen komme. Wo meine intime Spalte Einlass gab, machte ich die Augen weit auf. Als ich sehr jung war, fand ich mich unter anderem auf diese Weise in Paris zurecht. Einen Freund, einen Architekten, besuchte ich auf seiner Bude im obersten Stock eines neuen Hauses in Paris. Die Wohnung war so weit oben, dass ich vom Bett aus in den Himmel sehen konnte und er mich darauf aufmerksam machte, dass man von meiner Wohnung in der Rue Saint-Martin am rechten Ufer bis zu ihm in der Rue Saint-Jacques am linken Ufer nur einer geraden Linie folgen müsse. Ich mochte auch die Gegend um das Hotel des Invalides, wenn ich meinen Freund, den Zahnarzt, zu einer seiner Freundinnen begleitete. Sie war in den Fünfzigerjahren eine erfolgreiche Variété-Sängerin gewesen und hatte den etwas abgewetzten und gekünstelten Charme von Plattenhüllen jener Zeit. Sie ließ sich zögerlich rumkriegen, und ich vergnügte mich damit, den Schöngeist zu spielen, geringschätzig auf die runden Tischchen mit ihrer Sammlung von Schildkröten in allen Größen aus Stein und Porzellan zu blicken und durch die Fenster die architektonisch schönen Gebäude zu betrachten. Jede Wohnung induziert eine besondere Art, den Blick schweifen zu lassen. Bei Eric war das Bett Zentrum einer kaleidoskopischen Anordnung von Kameraobjektiven, Bildschirmen und Spiegeln. Bei Bruno war nach dem Vorbild von Mondrians Atelier eine Vase mit Blumen der einzige Blickfang in einem Raum, wo Türpfosten, Balken, Einbauschränke und Möbel so homogen wie aus einem Guss erschienen, als würde ihr Abbild verschiedene Funktionen erfüllen, als wäre zum Beispiel der große Tisch die höher gebaute Replik des Betts.
Ich habe eine nostalgische Erinnerung an große Wohnungen in großen italienischen Städten. Zu Beginn meiner
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