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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Barbie da lag und die gleichen Streicheleinheiten bekommen sollte. Vielleicht wollte ich nicht mehr über das Zusammensein von Mann und Frau wissen, weil mir das so große Befriedigung schenkte. Worauf ich aber eigentlich hinauswill: In meiner Vorstellung strichen die Hände vieler Jungen über meinen Körper, in Wirklichkeit aber war er reglos, fast gelähmt, bis auf die nur Millimeter umfassende Bewegung meiner Hand im Schoß. Damals schlief meine Mutter schon jahrelang nicht mehr bei meinem Vater. Er hatte das ehemalige gemeinsame Schlafzimmer behalten, sie teilte mit mir im zweiten Zimmer ein großes Bett, das Bettchen meines Bruders stand an der Seite. Selbst wenn man nichts gesagt bekommt, weiß man instinktiv, welche Aktivitäten man verheimlichen muss. Welche paradoxe Fingerfertigkeit musste ich mir aneignen, um mir Lust zu verschaffen, gewissermaßen in Reglosigkeit, fast ohne zu atmen, damit meine Mutter nicht spürte, wie ich bebte, wenn sie sich umdrehte und mich berührte! Vielleicht entwickelte sich meine Vorstellungskraft im Zwang, mich mehr durch Fantasien zu erregen als durch direktes Streicheln. Trotz allem blieb es nicht aus, dass mich meine Mutter schüttelte und mich ein kleines Luder schimpfte. Zur Zeit, als ich mit Claude nach Dieppe fuhr, schlief ich nicht mehr mit meiner Mutter in einem Bett, aber ich masturbierte noch lange danach mit angezogenen Beinen. Man könnte sagen, dass ich meinen Körper entfaltet habe, als ich ihn öffnete.
    Der Raum öffnet sich selten mit einem Mal. Selbst wenn sich beim manchmal mühsamen ersten Aufzug im Theater der schwere Stoff langsam oder schnell hebt und die Szene halb enthüllt ist, greift der Mechanismus und ein geheimer Widerstand schiebt um ein paar Sekunden den Eintritt des Zuschauers in die Handlung hinaus, an der er geistig teilnimmt. Es ist bekannt, dass wir den Momenten und den Orten des Übergangs besonderes Gewicht beimessen. Die Lust, die ich beim Warten auf dem Flughafen empfinde, ist vielleicht das ferne Echo meiner Emanzipation, die ich erreicht hatte, als ich Claudes Einladung damals annahm und aus der Tür meiner Eltern ging, ohne zu wissen, was mich am Ziel der Reise erwartete. Aber der Raum ist immer nur ein unendlich großer perforierter Darm. Wenn man ihn mit Gewalt dehnt, kann er sich rächen und sich genauso gewaltsam wieder zusammenziehen.
    Ich muss dreizehn oder vierzehn gewesen sein, als ich zu vorgerückter Stunde eine »primitive Szene« erleben durfte. Ich trat in den Flur und sah auf der Schwelle der Eingangstür meine Mutter und den Freund, den sie empfing, wenn mein Vater nicht da war. Sie küssten sich flüchtig, aber sie hatte die Augen geschlossen und den Oberkörper nach hinten geneigt. Das nahm ich ihr übel. Und sie nahm es mir übel, dass ich es übel nahm. Drei oder vier Jahre später sah ich Claude zum ersten Mal in diesem Türrahmen. Es war Ende Juni. Wir kamen spät abends in Dieppe an und gingen auf einen Campingplatz. In der Dunkelheit stellten wir das Zelt auf. Damals nahmen Studenten Aufputschmittel, damit sie wach blieben und nachts vor Prüfungen lernen konnten. Auch Claude hatte eine Tablette nehmen müssen, damit er beim Fahren nicht einschlief, und hatte mir auch eine angeboten. Im Zelt schliefen wir nicht gleich. Als er mich leise fragte, ob er eindringen könne, zitterte ich. Ich weiß nicht genau, ob es wegen dem war, was nun kommen sollte, oder wegen der Tablette. Jedenfalls war ich mir völlig unsicher, was meinen Zustand betraf. Einige Monate zuvor hatte ich einen intensiven Flirt. Der Junge hatte sein Glied an meinen nackten Bauch gedrückt und war gekommen. Am nächsten Tag bekam ich meine Blutung. Ich wusste so wenig über meinen Körper, dass ich dachte, es sei möglicherweise Deflorationsblut. Und danach musste ich so lange auf die nächste Regel warten (der Zyklus junger Mädchen ist oft unregelmäßig und kann durch emotionale Beeinflussungen gestört werden), dass ich dachte, ich sei schwanger! Ich sagte zu Claude, »ja«, wenn er mir die Frage noch einmal stellen und mich dabei mit meinem Namen ansprechen würde. Mit so einer Bedingung hatte er nicht gerechnet. Er sagte mehrmals »Catherine«. Als er ihn wieder herauszog, sah ich kaum den dünnen braunen Streifen auf meinem Schenkel. Am nächsten Tag verließen wir das Zelt praktisch nicht, es bot gerade genug Platz für unsere Körper.
    Wir legten uns aufeinander und wanden uns, von den Leuten nebenan und unterhalb trennte uns nur die

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