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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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übrigen Wald durch einen Draht getrennt. Hinter dem Waldzipfel liegt immer noch Land, das den Messers gehört. Aus Messers Küche kommt der Geruch von Sauerbraten. Die Eugenie geht selbst schon aufs Feld mit einem Töpfchen. Ernst hebt den Deckel auf, beide gucken hinein – der Ernst und die Nelli. »Das ist doch sonderbar«, sagt der Schäfer zu seiner Hündin, »daß eine Erbsensuppe nach Sauerbraten riecht.« Die Eugenie dreht sich nochmals um. Sie ist ein Mittelding zwischen einer Kusine von Messers und einer Haushälterin. »Bei uns werden auch die Reste gegessen, Freundchen.« – »Wir sind doch keine Suddelzuber«, sagte Ernst, »die Nelli und ich.« Die Frau sieht ihn kurz an und lacht. »Verderben Sie’s doch nicht mit mir, Ernst«, sagt sie. »Bei uns gibt es zwei Gänge, wenn Sie fertig sind, bringen Sie Ihren Teller ans Küchenfenster.« Sie geht rasch weg, eine fast dicke, nicht mehr sehr junge Person, aber mit schönen weichen Schritten. Und ihr Haar war früher so schwarz und glänzend, hat Ernst gehört, wie die Flügel einer Amsel. Sie ist das Kind guter Leute; hätte vielleicht den alten Messer selbst heiraten können; hat sich aber um alles gebracht, wie es dem General Mangin von der Interalliierten Kommission im Jahre 20 einfiel, die zwei Regimenter hier heraufzunehmen. Graublaue Wolke, die sich die Straße heraufschiebt, in die Täler und Dörfer verteilt und in den Hügeln bald da, bald dort, eine scharfe fremde Musik, die durchreißt. Fremder Soldatenrock am Haken im Hausflur, fremder Geruch im Treppenhaus, fremder Wein, den eine fremde Hand dir einschenkt, fremde Liebesworte, bis dir das Fremde vertraut wird und das Vertraute sacht entfremdet. Als dann fast acht Jahre später die graublaue Wolke abzog, die Straße hinunter und zum letztenmal jene fremde, reißende Marschmusik, nicht einmal mehr in der Luft, sondern nur noch in den Ohren war, beugte sich die Eugenie aus Messers Dachfenster weit heraus. Hier war sie untergekommen, nachdem die Hausfrau gestorben war im fünften Wochenbett. Ihre eigenen Eltern waren tot, die sie herausgeschmissen hatten, ihr Franzosenkind – das Besatzungsbübchen, geht in Kronberg zur Schule. Der Vater des Bübchens trinkt längst seine Aperitifs auf dem Boulevard Sebastopol. Kein Mensch spricht mehr von alldem. Man hat sich daran gewöhnt. Auch Eugenie hat sich daran gewöhnt. Ihr Gesicht ist verblaßt, wenn auch immer noch schön. Aus ihrer tiefsten Brust ist ein trockener Ton gekommen, wie sie gemerkt hat, daß das Graublaue, dem sie nachstarrt, längst keine Okkupationsarmee mehr ist, sondern echter Nebel. Das ist auch wieder viele Jahre her.
     
    Für den dicken Messer, den alten Knopf, denkt der Ernst, ist die Eugenie ein unverdientes Glück.
     
    Ich möchte wissen, ob sie sich das mit den zwei Gängen gleich vorgenommen hat oder erst nachher ausgeknobelt.
     
     
     
    Franz war jetzt so müde, daß es ihm war, als ob der Riemen durch seinen Kopf surrte. Trotzdem passierte ihm kein Mißgeschick, wahrscheinlich, weil er zum erstenmal nicht fürchtete, daß ihm eins passieren könnte. Er dachte ausschließlich, ob es ihm gelingen möchte, Elli nachher bei der Apfellieferung allein zu sprechen.
     
    Wie er nun dachte, daß er in wenigen Stunden wieder die Elli vor sich habe, eben die Elli, die er sich immer gewünscht hatte, schoß es ihm durch den Kopf, es könnte auch alles echt sein und wirklich. Nicht um dem Georg zu helfen, trafen sie sich, sondern um ihretwillen. Er, Franz, lieferte keine Äpfel, um durch ein Netz von Spitzeln zu schlüpfen, nichts bedrohte sie, niemand war in Gefahr. Franz versuchte sich vorzustellen, er hätte einfach zwei Körbe Äpfel beschafft, für den ersten Winter ihres gemeinsamen Lebens, wie es Hunderte machen. War es ihnen unmöglich, des gewöhnlichen Lebens teilhaftig zu werden? Immer der Schatten überall?
     
    Franz fragte sich da einen Augenblick, einen einzigen Augenblick, ob dieses einfache Glück nicht alles aufwiege. Ein bißchen gewöhnliches Glück, sofort, statt dieses furchtbaren unbarmherzigen Kampfes für das endgültige Glück irgendeiner Menschheit, zu der er, Franz, dann vielleicht nicht mehr gehört. So, jetzt können wir Äpfel braten in unserem Ofen, würde er sagen. Hochzeit würden sie dann im November feiern mit Pfeifen und Flöten – draußen in der Griesheimer Siedlung putzen sie ihre zwei Zimmerchen aus. Wenn er dann morgens zur Arbeit ging, wußte er über den ganzen Tag weg, daß die Elli

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