Das siebte Kreuz
das überhaupt Füllgrabe, durchfuhr es ihn. Füllgrabe nahm dasselbe mit seinem Mantel vor. Füllgrabe sagte: »Hast du vergessen, was in der Mainzer Landstraße ist?« Georg sagte müde: »Was soll dort schon sein!« – »Die Gestapo«, sagte Füllgrabe. Georg schwieg. Er wartete auf die Verflüchtigung dieser sonderbaren Erscheinung. Füllgrabe begann: »Georg, weißt du denn überhaupt, was in Westhofen vorgeht? Weißt du, daß sie schon alle gefangen haben? Bis auf dich und mich und den Aldinger!«
Vor ihnen im Sand in der blanken Sonne schmolzen ihre Schatten zusammen. Georg sagte: »Wie willst du das wissen?« Er rückte noch mehr ab, auf daß es zwei sauber getrennte Schatten gäbe. Füllgrabe antwortete: »Du hast dir vielleicht keine Zeitung angeguckt.« – »Doch, da –« – »Na, guck«, sagte Füllgrabe. »Wen suchen sie denn?« – »Dich, mich und den Großpapa. Der hat sicher schon einen Schlag gekriegt und liegt wo in einem Graben. Lang kann der’s nicht geschafft haben. Bleiben wir zwei.« Er rieb rasch mal seinen Kopf an Georgs Schulter. Georg schloß die Augen. »Wenn noch einer zum Suchen da war, dann war er auch ausgeschrieben. Nein, nein, sie haben die anderen. Sie haben den Wallau, den Pelzer und den – wie hieß er – Belloni. Den Beutler hab ich ja selbst noch schreien hören.« – Georg wollte sagen: »Ich auch«, sein Mund ging auf, es kam aber nichts heraus. Was Füllgrabe sagte, war richtig, wahnsinnig und richtig. Er rief: »Nein!« – »Pst«, machte Füllgrabe. »Das ist nicht wahr«, sagte Georg. »Das ist nicht möglich, sie können den Wallau doch nicht fangen, das ist keiner, der sich fangen läßt.« Füllgrabe lachte. »Wieso war er denn dann in Westhofen? Lieber, lieber Georg! Wir waren alle verrückt und der Wallau war am verrücktesten.« – Er fügte hinzu: »Und jetzt ist’s genug –« Georg sagte: »Wovon?« – »Von der Verrücktheit – ich für mein Teil bin geheilt. Ich melde mich.« – »Wo melden?« – Ich melde mich!« sagte Füllgrabe eigensinnig. »In der Mainzer Landstraße! Ich gebe auf, das ist das vernünftigste. Ich will meinen Kopf behalten, ich kann diesen Narrentanz keine fünf Minuten aushalten und zuletzt wird man doch gefangen. Dagegen kommst du nicht auf.« Er sprach ganz ruhig – immer ruhiger. Er reihte ein Wörtchen ans andere in schlichter Eintönigkeit: »Das ist der einzige Ausweg. Daß du über die Grenze kommst, das ist unmöglich, die Welt ist gegen dich. Es ist ein Wunder, daß wir zwei noch frei sind. Wir wollen freiwillig Schluß mit dem Wunder machen, bevor sie uns fangen, denn dann heißt’s ausgewundert. Dann heißt’s: gut Nacht! Du kannst dir vorstellen, was der Fahrenberg mit den Eingefangenen macht. Erinnerst du dich an Zillich, erinnerst du dich an Bunsen? Erinnerst du dich an den Tanzplatz?«
Georg spürte schon ein Entsetzen, gegen das man nicht ankämpfen konnte, man war schon vorher gelähmt. Füllgrabe war ganz gut rasiert. Sein dünnes Haar war gekämmt und roch nach Friseur. War es denn wirklich Füllgrabe? Er fuhr fort: »Du erinnerst dich also doch noch. Erinnerst du dich, was sie mit dem Körber gemacht haben, von dem es hieß, daß er fliehen wollte. Er wollte gar nicht einmal. Wir sind’s.«
Georg fing zu zittern an. Füllgrabe sah einen Augenblick zu, wie er zitterte, dann fuhr er fort: »Glaub mir, Georg, ich werde sofort dort hingehen. Das ist sicher das beste. Und du gehst mit. Ich war gerade auf dem Wege dorthin. Gott selbst hat uns zusammengeführt. Sicher!«
Seine Stimme war abgeleiert. Er nickte zweimal mit dem Kopf. »Sicher!« sagte er doch noch mal. Er nickte nochmals mit dem Kopf. Georg fuhr plötzlich zusammen. »Du bist verrückt!« sagte er. »Wollen mal sehen, wer von uns beiden verrückt, ja verrückt ist!« sagte Füllgrabe in dem bedächtigen Tonfall, der ihm im Lager den Ruf eines ganz verträglichen, ganz vernünftigen Kameraden eingebracht hatte, denn seine Stimme war nie hochgegangen. »Nimm mal dein bißchen Verstand zusammen, Bürschchen, guck dich mal um, ganz schnell, ganz unangenehm wirst du kaputtgehen, wenn du nicht mit mir machst, Freundchen. Sicher! Komm!« – »Du bist ja ganz verrückt!« sagte Georg. »Die werden sich ja den Bauch vor Lachen halten, wenn du anrückst. Ja, was glaubst du denn?« – »Lachen? Sollen sie lachen! Aber sie sollen mich leben lassen. Guck dich doch mal um, Freundchen, etwas anderes bleibt dir gar nicht übrig. Wenn du
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