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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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abends daheim war. Ärger? Abzüge? Antreiben? Abends in seinem sauberen Zimmerchen wird das alles von einem abfallen. Wenn er dastand wie jetzt, wenn er ausstanzte Stück für Stück, konnte er immerfort denken – abends die Elli. Fahnen raus? Abzeichen im Knopfloch? Gebt dem Hitler, was des Hitlers ist. Laßt sie – Elli und er hatten Spaß an allem, was sie zusammen unternahmen – an der Liebe und an dem Weihnachtsbaum, an dem Sonntagsbraten und an den Werktagsstullen, an den kleinen Vergünstigungen für Neuvermählte, an ihrem Gärtchen und an den Werkausflügen. Sie bekamen einen Sohn, sie freuten sich. Jetzt hieß es freilich, etwas zurücklegen und die Schiffahrt mit »Kraft durch Freude« auf das nächste Jahr verschieben. Mit dem neuen Tarif war man noch ganz zufrieden. Was sie sich da nur ausgedacht haben, daß die Stückzahl trotzdem heraufgeht. Nach und nach wird einem das Gehetz ein bißchen viel. Knurr nur nicht so laut, sagt die Elli. Nur keine Scherereien, Franz – jetzt schon gar nicht. Denn sie bekamen jetzt ihr zweites Kind. Franz wurde aber zum Glück schon Vorarbeiter, und sie konnten die kleine Schuld abzahlen, die sie bei Ellis Vater hatten machen müssen. Wenn nur die Elli nicht Angst gehabt hätte, daß schon wieder ein Kind käme. Franz sagte: Wenn das noch Kriegskinder gibt, danke. Diesmal weinte die Elli. Sie rechneten hin und her, rechneten alle Unkosten aus gegen all die Vergünstigungen für Kinderreiche. Doch bei dieser Berechnung spürte Franz einen Druck auf dem Herzen. Er wußte nicht recht, warum. So, als ob er sich dunkel besänne – diese Art Rechnen sei unstatthaft. Da nahm Elli einen guten Rat an, und das Kreuz ging diesmal vorüber. Ja, sie konnten sich für den Schiffsausflug vormerken lassen, da ihre Mutter solange das älteste Kind nahm und Ellis Schwester das kleine. Diese Schwester lehrte auch das kleine Kind den Hitlergruß machen. Elli ist immer noch ganz hübsch und ganz frisch. Franz denkt über Tag, wenn sie mir nur heut abend was Gutes hinstellt, nicht schon wieder Zusammengekochtes.
     
    Da kommt eines Morgens Franz in die Fabrik, und statt des Holzklötzchens kehrt da ein fremder Bub den
    Abfallstaub weg. Da fragt Franz: »Wo ist denn das Holzklötzchen?« Da sagt einer: »Das Holzklötzchen ist
    Verhaftet.« – »Das Holzklötzchen ist verhaftet?« fragt Franz. »Ja, warum denn?« – »Weil es Gerüchte verbreitet hat«, sagt einer von seinen Stanzern. – »Was für Gerüchte denn?« fragt Franz. – »Über Westhofen – da sind doch am Montag welche geflohen.« – »Was, aus Westhofen«, wunderte sich Franz, »leben denn da noch wirklich welche?« Da sagt einer der Stanzer, ein ganz ruhiger, trockener Mann mit fast schläfrigen Zügen, auf den Franz nie groß achtgegeben hat: »Hast du geglaubt, daß dort alle umkommen?« Franz erschrickt, und er stottert: »Nein, nein – nur daß immer noch welche drin sind.« Der Stanzer lächelt unbestimmt, er wendet sich von ihm ab. Wenn ich nur heut abend mal nicht nach Haus brauchte, denkt der Franz, nur mal wieder mit einem sprechen, mit so einem wie dem da. Franz weiß auf einmal, diesen Stanzer kennt er von früher. Irgendwo in seinem vergangenen Leben ist er mit diesem Stanzer zusammengewesen, er kennt ihn längst, kannte ihn, ehe er Elli kannte, ehe – Franz zuckte zusammen, jetzt mißriet ihm wirklich ein Stück. Was konnte da der Junge dazu, das Pfeffernüßchen, den alle lobten, weil er nach drei Tagen schon so geschickt den Staub zwischen den Armen abkehrte wie das Holzklötzchen, das diese Arbeit vor seiner Verhaftung das ganze Jahr gemacht hatte.
     
     
     
    Georg auf der Plattform der Drei dachte: Wäre es nicht besser gewesen zu Fuß? Um den äußeren Stadtrand herum? War er nicht mehr aufgefallen so – du sollst nicht grübeln um das, was du nicht getan hast, riet ihm Wallau – unnützer Kraftverbrauch. Du sollst nicht plötzlich abspringen, bald dies, bald das versuchen. Stell dich ruhig und sicher.
     
    Was nützen denn Ratschläge, die dir ja selbst nichts genützt haben? Er hatte Wallaus Stimme verloren. Jede Minute hatte er sich ihren Klang zurückrufen können, plötzlich war er fort. Und der Lärm einer ganzen Stadt konnte nicht das übertönen, was verstummt war.
     
    Die Elektrische war jetzt in einer Schleife stadtauswärts gefahren. Plötzlich erschien es ihm unglaubwürdig, daß er hier durchfuhr, und lebendig am hellen Tag. Es war gegen alle Wahrscheinlichkeit, gegen alle

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