Das siebte Tor
Vorräte.
Den Verwundeten und Erschöpften halfen sie mit ihren unverbrauchten heilenden
Kräften.
Marit warf noch einen besorgten Blick auf
Alfred, bevor sie Usha und Vasu folgte, um zu hören, was gesprochen wurde.
»… Morgendämmerung wurden wir von Schlangen
angegriffen«, berichtete Usha. »In unübersehbarer Zahl. Der erste Schlag traf
den Nexus. Ihr Plan sah vor, uns in der Stadt einzuschließen und dann, wenn wir
alle tot sind, das Letzte Tor zu versiegeln. Sie machten kein Geheimnis aus
ihrem Vorhaben, sondern erzählten uns lachend davon. Sie malten uns das Elend
unserer Landsleute aus, denen die Möglichkeit zur Flucht genommen war, ihre
Verzweiflung, und wie das Böse immer größere Macht gewinnen würde…« Usha
schauderte. »Ihre Drohungen waren schrecklich anzuhören.«
»Sie wollen eure Furcht«, erklärte Vasu. »Davon
ernähren sie sich, das gibt ihnen Kraft. Was geschah dann?«
»Wir kämpften, obwohl es hoffnungslos war.
Unsere magischen Waffen vermögen gegen einen so mächtigen Gegner nichts
auszurichten. Die Schlangen warfen sich gegen die Stadtmauern, zerstörten die
Runen, strömten durch die Breschen herein.« Usha starrte auf die brennenden
Häuser. »Sie hätten uns niedermachen können, ausnahmslos. Aber sie taten es
nicht. Sie ließen die meisten von uns am Leben. Anfangs konnten wir nicht
verstehen, aus welchem Grund. Weshalb uns nicht töten, wenn sie die
Gelegenheit dazu hatten?«
»Sie wollten euch ins Labyrinth treiben«,
vermutete Vasu.
Usha nickte, ihr Gesicht war düster. »Wir flohen
aus der Stadt. Die Schlangen drängten uns in diese Richtung und töteten jeden,
der auszubrechen versuchte. Wir waren gefangen zwischen dem Grauen des Labyrinths
und dem Grauen der Schlangen. Einige von uns waren dem Wahnsinn nahe. Die
Schlangen verhöhnten uns und zogen den Kreis enger. Ohnmächtig mußten wir mit
ansehen, wie sie an willkürlich herausgegriffenen Opfern ihre Mordlust
stillten.
Wir flüchteten durch das Tor ins Labyrinth, uns
blieb keine andere Wahl. Diejenigen, die nicht den Mut zu diesem verzweifelten
Schritt fanden…« Usha verstummte, senkte den Kopf und rang um Fassung.
Schließlich sprach sie weiter. »Wir hörten sie schreien, lange.«
Vasu sagte nichts, Zorn und Mitleid raubten ihm
die Stimme, aber Marit konnte nicht länger an sich halten.
»Usha«, sagte sie drängend, »was ist mit Fürst
Xar? Er ist hier, oder nicht?«
»Er war hier«, antwortete Usha.
»Wo ist er hingegangen? War… war jemand bei
ihm?« Marit stieg das Blut in die Wangen.
Usha betrachtete sie düster. »Wohin er gegangen
ist? Ich weiß es nicht, und es kümmert mich auch nicht. Er hat uns im Stich
gelassen. Unser Gebieter läßt uns hier sterben!« Sie spuckte aus. »Das ist für
Fürst Xar!«
»Nein!« flüsterte Marit tonlos. »Das ist
unmöglich.«
»Ob jemand bei ihm war? Schwer zu sagen.« Usha
spitzte verächtlich die Lippen. »Fürst Xar befand sich an Bord eines Schiffes,
eines Schiffes, das durch die Luft segelt. Der Rumpf war mit solchen Runen
bedeckt.« Sie warf einen haßerfüllten Blick auf die Mauer, das Tor. »Den Runen
unserer Feinde.«
»Sartanrunen?« fragte Marit ungläubig. »Dann
kann es nicht Fürst Xar gewesen sein, den du gesehen hast. Es war ein Blendwerk
der Schlangen. Er würde nie den Fuß an Bord eines Sartanschiffes setzen. Das
ist der Beweis, daß es nicht Xar gewesen sein kann.«
»Im Gegenteil«, widersprach eine Stimme. »Ich
fürchte, es beweist, daß er es gewesen ist.«
Zornig fuhr Marit bei diesen Worten herum, doch
sie zuckte zusammen, als sie den Herrn in Schwarz dicht neben sich stehen sah.
Er betrachtete sie mit tiefer Anteilnahme.
»Fürst Xar hat Pryan auf genau solch einem
Schiff verlassen. Es hatte die Gestalt eines Drachen, mit Segeln als Flügel?«
Der Herr in Schwarz sah Usha fragend an.
Sie beantwortete seine Frage mit einem knappen
Nicken.
»Unmöglich!« rief Marit aufgebracht. »Niemals
würde mein Gebieter sein Volk im Stich lassen! Nicht in der Stunde der Not,
wenn der ungeheuerliche Verrat der Schlangen offenbar geworden ist! Hat er
etwas gesagt?«
»Er sagte, er würde zurückkehren.« Usha lachte
bitter auf. »Und daß unser Tod gerächt würde.« Aus schmalen Augen sah sie
Marit mißtrauisch an.
»Vielleicht erklärt das einiges«, meldete Vasu
sich zu Wort. Er strich Marit das wirre, blutverklebte Haar aus dem Gesicht und
entblößte das zerstörte Mal auf
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