Das siebte Tor
beide gemeinsam in der Düsternis
der Katakomben auf das Nahen des Todes. Es herrschte tiefe Stille. Xar hatte
allen anderen Patryn befohlen, sie allein zu lassen. Das einzige Geräusch waren
Haplos rasselnde Atemzüge, Xars gelegentliche Fragen und Haplos geflüsterte
Antworten.
»Fällt dir das Reden schwer?« wollte Xar wissen.
»Wenn es dir Schmerzen breitet, werde ich dich nicht drängen.«
»Nein, Gebieter, ich fühle keine Schmerzen.
Jetzt nicht mehr.«
»Ein Schluck Wasser, um die trockene Kehle zu benetzen.«
»Ja, Gebieter, ich danke Euch.«
Mit einer kühlen Hand strich der Fürst Haplo das
schweißfeuchte Haar aus der fieberheißen Stirn. Er hob ihm den Kopf hoch und
hielt dem Sterbenden einen Becher mit Wasser an die Lippen. Dann legte er ihn
sanft auf die Steinbank zurück.
»Diese Stadt, in der ich dich gefunden habe,
Abri. Eine Stadt im Labyrinth. Ich ahnte nicht, daß es sie gibt. Nach ihrer
Größe zu urteilen, besteht sie seit langer, langer Zeit.«
Haplo nickte. Er war sehr müde, doch es tröstete
ihn, die Stimme seines Gebieters zu hören. Verschwommen erinnerte er sich
daran, wie er als kleiner Junge bei seinem Vater Huckepack geritten war. Er
konnte seines Vaters Stimme hören und gleichzeitig die Schwingungen in seiner
Brust fühlen. Auch jetzt vernahm er die Stimme seines Gebieters und spürte sie,
als erreichten ihn die Tonschwingungen über den kalten, harten Stein.
»Wir Patryn sind keine Städtebauer«, bemerkte
Xar.
»Die Sartan«, flüsterte Haplo.
»Ja, das war auch mein Gedanke. Die Sartan, die
sich in der Vergangenheit gegen Samah und den Rat der Sieben aufgelehnt haben!
Sie wurden zur Strafe für ihre Unbotmäßigkeit mit uns verbannt. Und wir haben
uns nicht gegen sie gewendet und sie erschlagen. Ist das nicht merkwürdig?«
»So merkwürdig nicht.« Haplo dachte an Alfred.
Nicht, wenn zwei Völker ums Überleben kämpfen
müssen, in einer feindseligen Umwelt, in der alles ihnen nach dem Leben
trachtet. Er und Alfred hatten nur überlebt, indem sie sich gegenseitig
halfen. Jetzt war Alfred im Labyrinth, in Abri, und half vielleicht den Patryn,
Todfeinden der Sartan, sich aus dem furchtbaren Getto zu befreien, in dem man
sie gefangengehalten hatte.
»Dieser Vasu, der Obmann von Abri, er ist ein
Sartan, nicht wahr?« fuhr Xar fort. »Ein halber Sartan zumindest. Ja, das habe
ich mir gedacht. Ich bin ihm nicht begegnet, aber seine Existenz habe ich
wahrgenommen. Ein Mann mit großer Macht, sehr tüchtig. Ein guter Führer,
zweifellos auch ehrgeizig. Besonders jetzt, da er erfahren hat, daß die Welt
nicht hinter den Mauern Abris zu Ende ist. Er wird seinen Teil davon beanspruchen,
fürchte ich, vielleicht sogar alles. Das ist der Sartan in ihm. Ich kann es
nicht zulassen. Er muß ausgelöscht werden. Und vielleicht gibt es noch mehr
wie ihn, alle jene von den Unsrigen, die Sartanblut in sich haben. Ich fürchte,
sie werden versuchen, mir meinen Herrschaftsanspruch streitig zu machen.
Ich fürchte…«
Ihr irrt Euch, Gebieter, dachte Haplo. Vasu
liegt nur sein Volk am Herzen, er strebt nicht nach Macht. Er hat keine Furcht.
Er ist, wie Ihr einst wart, Gebieter, und wird nicht werden, was Ihr heute seid
– furchtsam. Ihr wollt Euch von Vasu befreien, weil Ihr ihn fürchtet. Dann
werdet Ihr alle jene Patryn ausmerzen, die Sartanvorfahren haben, und danach
jene, die mit diesen befreundet waren. Zu guter Letzt wird niemand mehr übrig
sein als Ihr selbst – der, den Ihr am meisten fürchtet.
»Aus dem Ende ein neuer Beginn«, murmelte Haplo.
»Was?« Xar beugte sich aufmerksam vor. »Was hast
du gesagt, mein Sohn?«
Haplo hatte es vergessen. Er war auf Chelestra
und versank in den Fluten der Wasserwelt, wie damals. Nur hatte er diesmal
keine Angst. Er empfand ein wenig Trauer, Bedauern, daß er gehen mußte, bevor
seine Arbeit getan war.
Doch es gab andere, die weiterführen würden, was
er unvollendet lassen mußte. Alfred, tolpatschig, unbeholfen- der goldene
Drache in den Lüften. Marit, seinem Herzen nahe – furchtlos, die starke
Gefährtin. Ihre Tochter – ihm fremd. Nein, das stimmte nicht ganz. Er kannte
sie. Alle Kinder im Labyrinth trugen ihr Gesicht.
Die Welle trug ihn hoch empor, wiegte ihn sacht,
doch er sah sie, wie sie einst gewesen war – eine Flutwelle, die sich aufbäumte
und niederstürzte, um die Welt zu ertränken, zu zerschmettern.
Samah.
Dann die Ebbe. Trümmer schwammen auf dem Wasser.
Die
Weitere Kostenlose Bücher