Das siebte Tor
Lebenden. Doch Stück für Stück hat er diese Bande durchtrennt. Ihm
ist klargeworden, daß er ihnen nichts mehr zu geben hat. Und sie haben ihm
nichts zu geben. Er besaß alles. Jetzt kann er nur noch trauern um das, was er
verloren hat.«
»… verloren hat…«, seufzte der Schemen.
»Aber es gab eine Frau, die ihn liebte«, sagte
Alfred mit gedämpfter Stimme. »Sie liebt ihn noch.«
»Ihre Liebe macht nur einen kleinen Teil der
Liebe aus, die er an der Schwelle zum Jenseits fand. Sterbliche Liebe ist nur
ein schwacher Abglanz der unsterblichen.«
Alfred fühlte sich wie am Boden zerstört.
»Sei nicht zu hart zu dir selbst, Bruder«,
meinte Jonathon. Der Schemen blickte durch die Fenster der toten Augen.
»Mitleid hat dich bewogen, von der Nekromantie Gebrauch zu machen, nicht
Gewinnstreben oder Haß oder Rachsucht. Jene unter den Lebenden, die diesem
Mann begegnet sind, haben von ihm gelernt – manche zu ihrem Verderben. Doch
anderen hat er Hoffnung geschenkt.«
Alfred seufzte und nickte. Er verstand immer
noch nicht, nicht so ganz, aber ihm war, als könnte er lernen, sich zu
vergeben.
»Viel Glück für euer Vorhaben«, sagte der
Drache, als sie an dem zerklüfteten, steinigen Ufer des Feuerteichs von seinem
Rücken stiegen. »Und falls es euch gelingt, diese Welt von denen zu befreien,
die sie verwüstet haben, seid euch meiner Dankbarkeit gewiß.«
Sie haben es gut gemeint, dachte Alfred betrübt.
Das war der traurigste Vorwurf von den vielen, die man ihnen machen konnte.
Samah hatte es gut gemeint. Alle Sartan hatten
es immer gut gemeint. Selbst Xar, auf seine Art, hatte vielleicht die besten
Absichten.
Nur mangelte es ihnen an Vorstellungskraft.
Obwohl der Drache sie möglichst dicht bei
Nekropolis abgesetzt hatte, war es immer noch ein langer Weg zur Stadt,
besonders zu Fuß. Erst recht auf Alfreds Füßen. Kaum war er ans Ufer
geklettert, als er beinahe in einen kochendheißen Schlammtümpel gefallen wäre.
Hugh Mordhand riß ihn im letzten Moment zurück.
»Mach von deiner Magie Gebrauch«, riet Haplo ihm
trocken. »Oder du kommst nie lebend zum Sanktuarium.«
Alfred druckste. »Ich kann uns nicht in den Raum
hineinbringen.«
»Warum nicht? Alles, was du tun mußt, ist, dir
das Bild zu vergegenwärtigen. Du bist doch schon dort gewesen.« Haplo schien
die Geduld zu verlieren.
»Ja, aber die Abwehrrunen machen es unmöglich
hineinzugelangen. Sie entkräften meine Magie. Außerdem« ein schmerzlicher
Ausdruck glitt über Alfreds Züge – »ist die Erinnerung nicht sehr deutlich. Ich
muß sie aus meinem Gedächtnis getilgt haben. Es war eine furchtbare
Erfahrung.«
»In mancher Hinsicht«, meinte Haplo sinnend. »In
anderer nicht.«
»Damit hast du recht.«
Obwohl keiner von beiden es damals zugeben mochte,
hatte die Erfahrung im Sanktuarium die Erzfeinde näher zusammengebracht und
ihnen bewiesen, daß sie nicht so gegensätzlich waren, wie sie glaubten.
»Eins habe ich nicht vergessen«, sagte Alfred
leise. »Wie wir uns im Körper und im Bewußtsein derer wiederfanden, die vor
Jahrhunderten in jenem Raum zusammengekommen waren und starben…«
… Alfred empfand ein Gefühl von Bedauern und
Traurigkeit. Er litt darunter, aber es war besser, als überhaupt nichts zu
fühlen, besser als die Leere, die in ihm geherrscht hatte, bevor er dieser
Bruderschaft beitrat. Damals war er ein leeres Gefäß gewesen, eine Hülle ohne
Inhalt. Die Untoten – grausige Schöpfung derer, die begonnen hatten, sich mit
Nekromantie zu befassen – wirkten lebendiger als er. Seufzend hob Alfred den
Kopf. Ein Blick in die Runde zeigte ihm, daß sich auf den Gesichtern der
meisten Männer und Frauen um den Tisch in dem geheiligten Gemach ähnliche
Gemütsbewegungen spiegelten.
Seine Traurigkeit, sein Bedauern waren frei von
Bitterkeit. Bitterkeit für jene, die durch eigene Missetaten eine Tragödie
heraufbeschworen haben, doch Alfred sah voraus, daß sein Volk, außer es kam zur
Besinnung, auch diesen Kelch bis zur Neige würde leeren müssen. Jemand mußte
den Wahnsinn verhindern! Er seufzte wieder. Vor wenigen Augenblicken noch hatte
ein Glücksgefühl ihn durchströmt, Friede legte sich wie Balsam über den
brodelnden Magmasee seiner Zweifel und Ängste. Aber ein solcher Rausch der
Euphorie konnte der Wirklichkeit nicht standhalten. Er mußte sich den
Schwierigkeiten und Gefahren stellen und somit auch den schmerzlichen
Empfindungen.
Eine Hand
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