Das siebte Tor
Langsam kehrte die Erinnerung zurück.
Der Gang führte schräg in die Tiefe, als wäre er
die Straße zum innersten Herzen Abarrachs. Er war im Gegensatz zu den anderen
Tunneln und Stollen dieser instabilen Welt gut instandgehalten, breit und mit
sorgfältig geebnetem Boden, und schien eine Art Prozessionsweg zu sein.
Damals hatte Alfred sich darüber gewundert, aber da wußte er auch noch nicht,
wohin der Gang führte.
Nun wußte er es und verstand. Das Siebte Tor.
Der Raum, von dem aus die Sartan die Magie gewirkt hatten, um eine Welt zu
teilen.
»Weißt du, wie sie das bewerkstelligt haben?«
fragte Haplo.
»Orla hat es mir erzählt«, antwortete Alfred.
Gelegentlich unterbrach er seine Erklärung, um leise die Runen zu singen.
»Nachdem sie den Beschluß gefaßt hatten, die Welt zu teilen, brachten Samah und
die Ratsmitglieder alle Sartan zusammen und diejenigen Nichtigen, die sie für
würdig hielten. Diese wenigen Glücklichen transportierten sie zu einem Ort, den
man sich vermutlich so ähnlich vorstellen muß wie den Zeitbrunnen in Abri –
einen Brunnen, in dem die Möglichkeit Realität ist, daß keine Möglichkeiten
existieren. Dort waren die Auserwählten sicher, bis die Sartan das große Werk
vollbracht hatten.
Die begabtesten der Sartan versammelten sich mit
Samah in einem Raum, den er das Siebte Tor nannte. Da ihnen bewußt war, daß der
Aufwand an magischer Energie, der nötig war, um eine Welt zu spalten und vier
neue zu erschaffen, über die Kräfte auch des stärksten Magiers ging, statteten
Samah und der Rat den Raum selbst mit einem großen Teil ihrer Macht aus. Er
fungierte in etwa wie ein Teil des Allüberall, den Limbeck als ›Gen’rator‹
bezeichnet.
Das Siebte Tor speicherte den Überschuß an magischer
Energie. Die Sartan griffen darauf zurück, als sie ihre eigenen Kräfte
schwinden fühlten. Es bestand natürlich die Gefahr, daß ein Residuum der Magie
im Siebten Tor erhalten blieb und es für immer ein Ort der Macht war, ein
Quell der Versuchung und der Gefahr. Nur indem er das Siebte Tor zerstörte,
konnte Samah das verhindern. Er hätte es tun sollen, doch er fürchtete sich.«
»Vor was?« fragte Haplo.
Alfred zögerte. »Als sie nach der
Machtübertragung das Siebte Tor wieder betraten, stießen die Ratsmitglieder
auf etwas, womit sie nicht gerechnet hatten.«
»Eine Macht, größer als die ihre.«
»Ja. Ich weiß nichts von dem Wie oder Wodurch,
Orla konnte mir nicht viel sagen. Während es für uns eine tröstliche und
erhebende Erfahrung war, traf es die Sartan wie ein furchtbarer Schlag. Samah
wurde die Vermessenheit seines Handelns vor Augen geführt, die grauenvollen
Konsequenzen dessen, was er plante. Ihm wurde die Erkenntnis zuteil, daß er
seine Grenzen überschritten hatte, doch man ließ ihn auch wissen, es stünde
ihm frei, selbst zu entscheiden, ob er seinen Plan trotz allem durchführen
wolle.
Erschüttert von dem, was sie gehört und gesehen
hatten, begannen die Ratsmitglieder an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zu
zweifeln, und es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Doch ihre Furcht vor dem
Feind – den Patryn – war groß. Die Erinnerung an das spirituelle Erlebnis in
dem Raum verblaßte gegenüber der realen Bedrohung. Unter dem Vorsitz Samahs
stimmte der Rat dafür, mit der Teilung der Welt zu beginnen. Wer sich dem
Beschluß widersetzte, wurde zusammen mit den Patryn ins Labyrinth verbannt.«
Alfred schüttelte den Kopf. »Furcht – unser
Verderben. Selbst nachdem er eine Welt zerstückelt und vier neue geschaffen
hatte, nachdem seine Gegner unschädlich gemacht waren, lebte Samah immer noch
in Furcht. Er fürchtete die Manifestation im Siebten Tor, doch fürchtete er
auch, eines Tages der Macht des Tores erneut zu bedürfen, und deshalb
versetzte er es in eine andere Dimension, statt es zu zerstören.«
»Ich war bei Samah, als er starb«, bemerkte Jonathon.
»Fürst Xar fragte ihn nach dem Siebten Tor, und
er sagte, er wisse nicht, wo es sei.«
»Vielleicht wußte er es nicht«, gab Alfred zu.
»Doch er hätte keine Mühe gehabt, es zu finden. Ich hatte ihm von der Krypta
der Verdammten erzählt.«
»Wir haben es entdeckt«, sagte wieder Jonathon.
»Wir erkannten seine Macht, aber wir hatten vergessen, wie man sie gebraucht.«
»… gebraucht…«, wisperte der Schemen.
»Wofür wir dankbar sein sollten. Könnt ihr euch
ausmalen, was geschehen wäre, hätte Kleitus herausgefunden,
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