Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Iru hing. Der Dan-Ritter wurde hin und her geschüttelt. »Nicht mal die Bilder des magischen Spiegels haben ihn mürbe gemacht. Ich dachte, er würde sich danach sehnen, einen Blick in sein verlorenes Leben zu werfen und all das zu sehen, was ihm lieb und teuer ist. Wer weiß, vielleicht hätte Achest ihn sogar freigelassen, wenn er uns alles verraten hätte. Aber es scheint, dass die Aussicht darauf ihn vollkommen kaltlässt. Nichts haben wir von ihm in Erfahrung bringen können!«
Ucek, sein Kumpan, grinste dümmlich, wie meistens, wenn er nichts zu sagen wusste. »Vielleicht hat er tatsächlich keine Ahnung.«
»Unsinn«, fuhr ihn der andere an. »Ein Ritter von Dan, noch dazu dieser hier, ist in die tiefsten Geheimnisse des Hochkönigs eingeweiht. Er weiß alles, wahrscheinlich sogar mehr als Andorin selbst! Vielleicht müssen wir ihm nur die richtigen Fragen stellen.«
Er beugte sich ein wenig vor, sodass sein Kopf nahe an Irus Gesicht kam, und fletschte die Zähne. Der Fürst von Dan verzog keine Miene und blickte ihn nur aus dunklen Augen an.
»Warum stellst du dich so dumm?«, fragte Negrath. Iru starrte ihn weiterhin wortlos an.
»Nun, ich sehe schon, der hohe Herr ist verstockt«, spottete der Gredow. »Macht nichts. Wenn du mir schon nicht verraten willst, was ich wissen möchte, muss mein Herr diese Auskünfte eben woanders einholen.« Er machte eine kurze Pause, in der Hoffnung, Irus Neugier zu wecken. Doch der zeigte keine Reaktion.
»Wir wissen, dass es ein geheimes Zentrum der Macht gibt, in das sich dein Hochkönig mit seinen Beratern zurückzieht, sobald es Krieg gibt. Wir wissen auch, dass es sich um eine schwimmende Festung handelt, die irgendwo auf dem Meer treibt und ständig ihren Standort wechselt, damit niemand sie angreifen kann. Solange sie besteht, hat auch das Reich von Algarad Bestand.«
Iru lachte, soweit das noch schmerzlos möglich war. »Es gibt keine schwimmende Festung«, hustete er. »Das ist eine Legende, die schon seit Urzeiten erzählt wird. Ihr werdet nichts finden. Aber sucht nur danach, dann seid ihr wenigstens beschäftigt.«
Ucek kicherte einfältig, doch Negrath rückte noch ein Stück näher an Iru heran. Fast berührten sich die Stirnen ihrer Köpfe. »Wir werden sehen«, sagte er. »Wir werden sehen.«
12
Die Bogenschützen traten zur Seite und gaben den Weg für ein paar kleine, gebückte Männer frei, die eilig einen schweren, hölzernen Landungssteg heranschleppten. Sie duckten sich unter den Peitschenhieben eines groben Kerls,der sie antrieb. Ab und zu konnte Tenan hastig gesprochene Wortfetzen in einem fremden Dialekt vernehmen, die die Männer sich zuwarfen. Es mussten Sklaven von weit entfernten Inseln oder einem fernen Kontinent sein. Tenan vermutete, dass die Piraten viele ihrer Gefangenen für sich arbeiten ließen.
Die Männer schoben den Steg hinüber zum Rumpf der Dakany, während die Schützen ihre Waffen weiterhin schussbereit hielten.
Erskryn verbeugte sich mit einer höhnisch-einladenden Geste. »Wollt Ihr nicht an Land kommen?«
Harrid gab seinen Männern einen Wink und betrat den Steg. Sie verließen das Schiff und trotteten wie eine geschlagene Armee hinter ihm ans Ufer. Die Besatzung musste sich auf der Balustrade in einer langen Reihe am Ufer aufstellen, während die Piraten sie mit Speeren und Schwertern in Schach hielten.
Mit einem mulmigen Gefühl schaute sich Tenan um. Er sah in den Gesichtern der Piraten, dass es Männer waren, die nichts mehr im Leben zu verlieren hatten außer ihrer Seele. Es waren raue, schmutzige Gesellen, mit denen nicht zu spaßen war. Manch einem fehlte ein Auge, oder er war durch eine hässliche Narbe entstellt. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet: Dolche, Schwerter, Enterhaken und kleine, handliche Beile hingen an ihren breiten Ledergürteln.
»Schickt einen Spürtrupp an Bord«, befahl der Hauptmann. »Ich will wissen, welche Ladung die Dakany hat und welche Schätze uns erwarten.«
Die Männer johlten begeistert und rannten an Bord, wo sie eifrig das Innere der Frachträume durchstöberten.
Erskryn schritt die Reihe der Gefangenen gemächlich ab, musterte jeden eindringlich aus stahlblauen, stechenden Augen.Tenan vermied den Blickkontakt mit ihm und schaute auf die Mitte seiner Stirn, als er an ihm vorüberging. Glücklicherweise schenkte ihm Erskryn keine besondere Beachtung.
»Eure Mannschaft ist gut in Form«, meinte der Piratenhauptmann zu Harrid. »Jeder der Männer wird auf dem
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