Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
sie fertig waren, traten sie hinter die Gefangenen und trieben sie mit ihren Waffen vorwärts.
Sie wurden eine schmale, steile Treppe emporgestoßen, die grob in den Felsen gehauen worden war und hinauf zu einem Hochplateau der Insel führte. Die Gefangenen mussten angekettet hintereinander laufen, sodass sie sich schwerfällig in einem langen Tross über die steinige Ebene bewegten. Ihr Weg führte über weite Flächen mit kurzem, hartem Stoppelgras. Schroffe weiße Felsformationen stachen dazwischen empor. Zuweilen sahen die Gefangenen graue Mauern und Überreste von großen Steinquadern, die Tenan in ihrem Baustil an die Ruinen der Ebene von Armara erinnerten.
Er konnte beobachten, wie sich Tres die ganze Zeit mit dem Roten Erskryn unterhielt. Tenan konnte nicht verstehen, was sie sprachen, aber aus den Blicken, die sie in ihre Richtungwarfen, schloss er, dass der Verräter dem Piratenhauptmann genauer von den Geschehnissen der Überfahrt erzählte. Erskryn spielte die ganze Zeit gedankenverloren mit dem Beutel, in dem sich der Kristall befand. Tenan hoffte, dass Erskryn den Schilderungen seines Dieners keine allzu große Bedeutung zumaß.
Je weiter sie kamen, desto mehr wuchsen sich die Felsen zu einem kleinen Gebirge aus, das die Insel der Länge nach durchzog. Der Weg wurde nun zunehmend durch scharfkantige Grate behindert. Die Piraten hatten eine Vielzahl tunnelartiger Gänge in die Felswände getrieben, um den Nordteil des Eilands besser erreichen zu können. Hier lag, versteckt in den Armen einer kleinen Bucht und abgeschirmt durch die Hänge des Gebirges, ein Hafen, in dem die Schiffe der Piraten vor Anker lagen: eine stattliche, dreimastige Fregatte und zehn wendige Leichtboote, die jeweils etwa zwanzig Mann fassen konnten. Tenan hatte von ihnen gehört. Die Piraten benutzten meist kleinere Schiffe für ihre Raubzüge, die den großen Fregatten an Schnelligkeit und Wendigkeit überlegen waren.
An einem weiteren Landungssteg schaukelten zwei unterschiedlich große schwarze Barken aus Ebenholz, deren gleichfarbige Segel fest um die beiden Masten gewickelt waren: eine schnittige Korvette von den südlichen Inseln und ein alter Seelenverkäufer, dessen Bestimmung nur der Transport von Sklaven sein konnte, wie Tenan aus dem großen Frachtraum und der Anzahl von Galeerenrudern schloss, die aus dem Rumpf ragten.
Erskryn gab seinen Leuten ein Zeichen, die Matrosen der Dakany auf jenes Schiff zu bringen.
»Diese hier nicht«, befahl er, als die Wachposten auch Tenan, Harrid, Chast und Urisk dorthin führen wollten.
Die vier schauten ihn erstaunt an.
Erskryn strich sich über den Bart. »Tres hat mir auf dem Weg erzählt, was sich an Bord ereignet hat. Da ist einiges, was meine Aufmerksamkeit geweckt hat: ein Passagier, der einen magischen Kristall bei sich trägt, ein Fairin auf hoher See, weit entfernt von seiner Heimat, ein zwielichtiger Kesselflicker, der mit dem Schwert umzugehen versteht wie kaum ein anderer, die Verfolgung durch einen Dronth-Brecher ... Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Euch noch später gesondert befragen will. Euer Glück: Sonst wärt Ihr bald mit dem Rest der Mannschaft auf dem Weg gen Süden zum Sklavenmarkt.«
»Ich bleibe bei meinen Leuten«, knurrte Harrid. »Sie gehorchen nur meinem Befehl, und der Ehrenkodex eines Kapitäns ...«
»... gilt hier nicht«, fiel ihm Erskryn aufbrausend ins Wort. »Ich bin hier der Hauptmann, und mein Wort ist Gesetz! Sperrt diese Gefangenen in das Verlies am Rande des Dorfplatzes«, wies er zwei seiner Männer an. Seine Augen glühten wutentbrannt über Harrids Widerspruch gegen seine Order. Mühsam gewann er wieder die Fassung. »Ich werde Euch persönlich dorthin geleiten und Euch Eure Gemächer zeigen.«
»Du hast den Befehl des Hauptmanns gehört«, sagte ein Wachposten und presste seinen Speer auf Harrids Kehle. Ein anderer schwenkte seine Waffe in Richtung des Dorfes. »Los, hier entlang.«
»Ich glaube, der Mann hat im Augenblick die besseren Argumente«, meinte Chast und zog Harrid aus der Reichweite der Waffe. »Tot nützt du deinen Leuten noch weniger, also komm!«
Harrid schnaufte und zerrte an seinen Ketten. Hilflos musste er mit ansehen, wie seine Männer an ihm vorbeizogenund zu dem schwarzen Sklavenschiff geleitet wurden, dessen seitliche Ladeluke bereits offen stand. Mit Peitschenhieben wurden sie von dunkel gewandeten Kriegern hineingetrieben.
Morn, der Steuermann, schleppte sich an Harrid vorbei. Durch das Gewicht
Weitere Kostenlose Bücher