Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
erfreulichen Aus sichten.«
»Wahrhaftig nicht«, sagte Chast.
Inzwischen war die Dakany sicher an der Kaimauer vertäut worden. Eine drückende Stille trat ein. Auge in Auge standen sich die Männer an Land und an Bord des Schiffs gegenüber, als schätzten sie sich gegenseitig ab.
Schließlich begann Erskryn zu sprechen: »Wenn ich mich nicht irre, ist mir da ein recht fetter Fisch ins Netz gegangen – und bitte verzeiht mir das kleine Wortspiel, Kapitän Harrid. Ich meinte damit nicht nur Euren Körperumfang.«
Harrid trat nach vorn an die Reling und rief hinunter: »Erskryn! Natürlich. Eure Dreistigkeit wird von Jahr zu Jahr größer.«
»Und Eure Anmaßung steht dem in nichts nach«, antworteteder Piratenhauptmann. Seine Augen wirkten kalt wie Eis. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Kaum zu glauben – der verwegene, auf allen Meeren weitgereiste und berühmte Kapitän Harrid und sein legendäres Schiff. Eta meint es wahrhaftig gut mit mir. Ihr wisst nicht, wie lange ich hoffte, Euch endlich zu kapern.«
»Von Kapern kann keine Rede sein. Ihr habt die Dakany nicht in einem fairen Kampf besiegt«, schleuderte Harrid ihm entgegen. »Aber Hinterlist war ja schon seit jeher eine Eurer Tugenden.«
Erskryn setzte den Jungdrachen vorsichtig auf einen hölzernen Block neben sich und kettete ihn dort an. Das Tier krächzte schrill und versuchte erfolglos, die Fußfessel abzustreifen. »Ihr solltet vorsichtig sein, Harrid, und meinen Zorn nicht unnötig reizen.« Er streifte langsam seine roten Wildlederhandschuhe ab und lächelte. »Euch wird es genauso ergehen wie diesem liebenswerten Vieh. Es war die Freiheit der Lüfte gewohnt und muss sich nun mit dem Leben am Boden begnügen. Ich habe seinen Willen gebrochen, was bei einem Drachen gar nicht so einfach ist. Aber was bei einem so stolzen Tier funktioniert, wird sicher auch bei Euch Erfolg zeigen.« Der Drache hackte nach ihm, aber er wich geschickt aus. »Natürlich bedarf es noch einiger Züchtigung. Ich hoffe sehr, dass wir uns dies bei Euch ersparen können.«
»Wenn Ihr glaubt, wir würden uns kampflos ergeben, habt Ihr Euch getäuscht«, sagte Harrid. »Die Dakany wird Euch einen hohen Preis kosten.«
Erskryn lachte laut. »Anscheinend ist Eure Dummheit ebenfalls in den letzten Jahren gewachsen. Ihr habt keine Chance, zu entkommen. Ich kann Euch einfach auf Eurem alten Kahn aushungern, ohne einen Finger zu krümmen.«
»Ihr kennt mich und meine Leute nicht. Ich würde für jeden Mann hier mein Leben lassen, und genauso ist es umgekehrt.«
Erskryns Lippen kräuselten sich verächtlich. »Ich bin gerührt von so viel Loyalität. Leider muss ich Euch mitteilen, dass die Loyalität meiner Leute weit über die der Euren hinausgeht.« Er gab den Bogenschützen ein Zeichen, und sie hoben ihre Waffen. »Jeder, der sich an Deck befindet, wird von einem meiner Schützen ins Visier genommen. Eine falsche Bewegung, und ihr alle werdet im Pfeilhagel sterben. Wollt ihr es wirklich darauf ankommen lassen?«
Tenan überschlug die Anzahl der Schützen. Es waren einige mehr, als die Besatzung zählte.
»Für Euch, mein guter Harrid, habe ich übrigens extra drei Pfeile bestimmt. Ich wage bei Eurer Leibesfülle zu behaupten, dass ein einziger Euch nicht zur Strecke bringen würde.«
»Zu viel der Ehre«, gab Harrid zurück. Er schaute sich um. Seine Männer blickten ihn an und warteten auf seine Befehle. Tenan sah in ihren Augen, dass sie alles für ihren Kapitän tun würden, selbst in den Tod gehen. Harrid konnte auf sie zählen. Umso mehr musste er ihnen doch die Möglichkeit geben, zu überleben und nicht in einem sinnlosen Kampf zu sterben! Mit Erleichterung sah Tenan, wie Harrid seinen Leuten zunickte.
»Was bleibt mir anderes übrig? Männer, lasst uns in die Höhle des Drachen gehen. Kein Kampf und keine Waffen. Das ist meine letzte Order, die ich auf diesem Schiff gebe.«
11
Manchmal glaubte Lord Iru, die Schreie der Gefolterten und Sklaven in den Verliesen Nagathas hätten ein Eigenleben entwickelt und wanderten als ruhelose Seelen durch die kalten Gänge, um die Gefangenen zu quälen und in die Verzweiflung zu stürzen, aus der es kein Entkommen mehr gab. Sie kreisten in seinem Kopf, wühlten sich durch seine Sinne, erfüllten sein ganzes Sein, bis er nicht mehr unterscheiden konnte, ob sie von außerhalb oder aus ihm selbst kamen.
»Seine Widerstandskraft ist beachtlich«, knurrte Negrath, Irus Folterknecht, und rüttelte an den Ketten, an denen
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