Das Siegel der Macht
Lauf, es drang in den ungeschützten Hals des Kriegers. Wohltuendes Blut floss über die Brandwunden des Griechen, wirkte wie Balsam.
Keuchend lag der Sterbende auf dem Boden, richtete sich nochmals auf. »Nicht Odilo«, flüsterte er. »Aaah …« Der Seufzer dehnte sich in die Länge. Alexius ließ den Toten fallen und entfernte sich von der Kirchenmauer. Hinter ihm stürzten im Gotteshaus die glühenden Balken auf den Altar.
Der Retter des Dorfpriesters wurde am zweiten Abend in Farfa gefeiert. Abt Hugo bat seine Gäste ins Abthaus, wo eine Festmahlzeit aufgetragen wurde. Es gab verschiedene frische Gemüse, Eier, nach Pfeffer duftenden Fisch und gewürzten Wein. Odilo von Cluny, den er bisher nur von weitem gesehen hatte, beglückwünschte den Kaiserboten zu seinem Mut.
Was Alexius an diesem großen, kräftigen Abt am meisten erstaunte, war das jugendliche Aussehen. Nach Gerberts ersten Berichten über Odilo in Reims war Alexius auf einen Greis oder zumindest einen Mann in Gerberts Alter gefasst gewesen. Nun saß ihm ein vor Gesundheit strotzender, keineswegs asketisch magerer Abt gegenüber. Odilo mochte ungefähr 35 Jahre alt sein. Von seinen grünen Augen ging eine mitreißende Faszination aus. Der Missus entzog sich dem intensiven Blick und beugte sich über die Schüsseln.
»Wie kommt es, dass Ihr als Dorfpriester im Kloster zelebriert?«, fragte Odilo den aus dem Feuer geretteten Geistlichen. Die melodisch weiche Stimme des Abtes klang angenehm in Alexius’ Ohren.
»Die Kapelle steht meist leer«, rechtfertigte Abt Hugo den Gefragten. »Manchmal werden die Gläubigen der Umgebung zu einer Messe geladen. Diese Methode hat uns schon manchen Novizen aus guter Familie eingebracht.«
»Eine Kirche im Klausurbereich sollte den Laien nicht offen stehen«, antwortete Odilo. »Ich habe mich bei Papst Gregor für Euch eingesetzt, weil ich Farfa neuerdings für eine Abtei der Zucht und Ordnung gehalten habe.«
»Wir sind auf dem besten Weg.« Hugo schwieg und fügte entschuldigend hinzu: »Der Priester ist heute nur hergekommen, um sein Kleid zu verbrennen.«
Alexius folgte der Unterhaltung aufmerksam. Offenbar hatte der Dorfgeistliche ein Messgewand geschenkt bekommen, das die Gemüter erregte. Es war mit Darstellungen des Todes bestickt. Alexius schauderte bei diesem Gedanken, und tatsächlich gestand der Priester: »Die Gabe einer Base. Leider nahm ich mir keine Zeit, die Stickerei genau anzusehen. Als ich im Kerzenlicht damit vor die Gläubigen trat, war der Schrecken groß. Sie schrien vor Angst und flüchteten aus der Kirche. Viele wurden tagelang vom Gedanken an den Tod gequält.«
So hatte der Priester beschlossen, sein Gewand auf dem Steinboden des Gotteshauses zu verbrennen. Das Feuer sollte doppelt läutern, denn vor wenigen Tagen hatten Mönche einen Wolf in der Kirche gesehen.
Alexius zog sich früh ins Gästehaus zurück. Die Reisegesellschaft wollte zwei Tage in Farfa bleiben, denn Odilo, Hugo und die Vorsteher benachbarter kleinerer Klöster hatten Wichtiges zu besprechen. Der Missus war dankbar für die Ruhepause. Er hatte sich von seinem Schock noch nicht erholt. Weil er sich niemandem anvertrauen konnte, drückten die Sorgen besonders schwer. Alexius ahnte beim Einschlafen nicht, dass das Abenteuer in Farfa erst angefangen hatte.
In der nächtlichen Ruhepause vor seiner Abreise schlich eine Gestalt in schwarzer Kukulle durch die Klausur zu Alexius ins Gästehaus. Der junge Grieche erwachte, als eine Hand sich auf seinen Mund legte.
»Nicht schreien. Ich bin es, Bruder Benedikt.«
Alexius richtete sich verschlafen auf und erinnerte sich an den Mönch und seinen ersten Besuch in der Abtei Farfa. »Habt Ihr weitere Informationen für mich?« Eilig streifte er sich Kleider über und folgte dem Mönch ins Freie. Sie durchquerten den Garten, betraten eine Schreibstube.
»Nein, aber ich will Euch helfen. Erzbischof Gerbert und ich sind seit Katalonien Freunde. Das bindet mehr als Ordensregeln.«
»Seid Ihr kein überzeugter Benediktiner?«
»Doch, aber die Reformwut Clunys geht mir zu weit. Nichts als Regeln und Verbote, Gesang und rituelle Gebete. Eine eiserne Disziplin wird damit erreicht, aber wo ist das Feuer des Glaubens geblieben?«
Benedikt breitete einen Plan auf dem Tisch aus. Er hatte das Pergament in einem Mathematikbuch im Scriptorium gefunden. Ein Klosterplan mit eigenartigen Doppelmauern.
»Seht, hier«, flüsterte Benedikt und zeigte mit einer Feder auf einige dunkle
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