Das Siegel der Macht
Ohr. Sie war plötzlich wieder nüchtern. »Seit wenigen Wochen.«
Der Kaiserbote sagte nichts.
Sanft nahm Otto Stephania an der Hand und führte sie in seine Gemächer.
Sergia ließ sich zu einem weiteren Weinbecher überreden und hörte der Musik zu.
In Alexius schürte der Alkohol ein Gemisch widersprüchlicher Gefühle. Hass, Rachelust, drängende Begierde und schmerzliche Erinnerungen, geboren aus der Melodie des Monochords. Er griff in Sergias Haar und zwang ihr Gesicht näher zu sich. In den großen dunklen Augen spiegelte sich weibliche Sehnsucht, aber auch Angst vor dem Unbekannten. Alexius wich ihrem Blick aus. Hart und fordernd küsste er ihre Lippen. Dann zog er sie vom Sitz auf und führte sie in das nächste leere Schlafgemach.
Willenlos folgte Sergia ihm zum Lager. Alexius drängte sie auf die Betttücher. Der Schleier ihres schwarzen Haars auf dem Kissen ließ ihn fast die Besinnung verlieren. Wild zerfetzte er die rote Seide und vergrub den Kopf zwischen ihren Brüsten. Olivfarbene zarte Haut, ebenso feste junge Schenkel wie Lucilla. Alexius stöhnte, streifte seine Beinkleider hinunter und drängte sich über sie. Sein Herz, seine Seele schwiegen. Es war ein rasendes Nehmen ihres Körpers. Hass und die Illusion kurzer Betäubung öffneten das Tor zu abgrundtiefer Erfüllung.
Leere, Einsamkeit, Enttäuschung begleiteten Alexius am nächsten Tag, als er mit einem Großteil der kaiserlichen Streitmacht dem Meeresufer entlang nach Caere ritt. Er hatte keine Augen für den endlosen Sandstrand und das im Sonnenlicht glitzernde Wasser, das sich am Horizont verlor.
Melder der Vorhut sahen das Ziel zuerst und schilderten Otto den massiven Mauerring. Eine so gut befestigte Stadt hatten Kaiser und Papst nicht erwartet.
Als ihm das Heranrücken der Besatzungsmacht gemeldet wurde, gab der Graf von Sabina Befehl, die Tore zu schließen. In der Stadt befanden sich Panzerreiter und unermessliche Vorräte.
Der Kaiser ließ Caere umzingeln und rief seine Ratgeber zu sich. »Wir werden Gerberts Wurfmaschinen auch hier aufbauen müssen. Aushungern können wir die Feinde nicht, das würde zu lange dauern.«
»Ich weiß eine bessere Lösung.« Papst Gregors blaugraue Augen fixierten den Kaiser, suchten sein Einverständnis. Als keine Antwort kam, sagte er zu Alexius: »Lass den Grafensohn vor die Mauern der Stadt führen.«
Während die Soldaten Rammpfähle herbeischafften, Leitern bauten, Steine aufhäuften, galoppierte Alexius mit zwei Kriegern zur Nachhut des Heeres. Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet!
Widerstandslos ließ sich Oktavian von einem Karren zerren. An Händen und Füßen gefesselt, wurde der Grafensohn auf ein Pferd gestemmt. Alexius ritt neben ihm. Sie kamen an gigantischen etruskischen Hügelgräbern vorbei, aber Alexius hatte kein Interesse an den Tumuli. Verstohlen beobachtete der Missus seinen Gefangenen. Oktavian war jung und hatte ein hübsches Gesicht von fast weiblicher Feinheit. Aufgeworfene volle Lippen wie seine Schwester Sergia. Beim Gedanken an diesen Mund auf Lucillas Lippen fühlte Alexius den brennenden Hass stärker als je zuvor. Ein körperlicher Schmerz wie eine Klammer um die Brust.
Der junge Grieche gab seine Zurückhaltung erst auf, als sie das Gros des Heeres umrundet hatten und die einstige Etruskerstadt Caere sich vor ihnen erhob. Er lenkte sein Pferd so nahe zu Oktavian, dass die Flanken der Tiere sich fast berührten.
»Weshalb habt Ihr Lucilla getötet?« Alexius’ Stimme hatte den bitteren Klang des Hasses.
»Ihr kennt die schöne Stickerin?«, fragte Oktavian verblüfft.
»Sie gab meinem Leben seinen Sinn.« Alexius sprach mit einer Offenheit, die ihn selbst erstaunte.
Der junge Sabiner war sich seiner Situation bewusst. Der Tag konnte ihm den Hals kosten, er hatte nichts zu verlieren. Ebenso ehrlich sagte er: »Ich habe sie umworben, sie in allen Ehren bei mir aufnehmen wollen. Nichts. Sie ist geflüchtet und hat sich versteckt. In der Engelsburg dann …«
»… habt Ihr Lucilla Gewalt angetan.«
»Nein, ihre Liebe zu erobern versucht. Sie hat mich falsch verstanden, ist vor mir weggerannt, hinauf zu den Zinnen. Ich habe sie warnen wollen. Da ist sie gestolpert und rücklings in die Tiefe gestürzt.«
»Schwört bei Eurem Seelenheil, dass Ihr sie nicht gestoßen habt!«
»Es war ein Unfall. Ich habe sie nicht getötet, ich schwöre es.«
Papst Gregor bewegte seinen Schimmel ungeduldig hin und her, als Alexius mit dem Gefangenen eintraf.
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