Das Siegel der Macht
Stoffstreifen aus ihrem Kleid und faltete daraus einen Kopfverband.
»Wir wollen den gefesselten Halunken mitnehmen«, wandte sie sich in befehlsgewohntem Ton an ihre Diener und stand auf. »Kannst du den Verletzten tragen, Gerold?«
Der dunkelhaarige Hüne nickte, hob den Bewusstlosen behutsam auf. Langsam folgte er Ricolf, der den Gefangenen an einem improvisierten Strick hielt und vorwärts schob. Das Pferd trottete gehorsam hinter Elana her.
Glücklicherweise lag ihr Quartier nicht weit entfernt. Elana war besorgt und gleichzeitig verwirrt. Was kümmert es mich, ob ein Fremder lebt oder stirbt? Sie verdrängte die Angst um den Unbekannten, aber die Erinnerung an das jugendliche Gesicht ließ sie nicht los. Der junge Reiter hatte in seiner Bewusstlosigkeit hilflos und sanft gewirkt, fast wie ein schlafender Junge. Elana war so in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie Gerold mit seiner schweren Last immer mehr hinter seinem Vordermann zurückblieb. Ein röchelnder Schrei brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Die Burgherrin umrundete Gerold und lief nach vorn, wo Ricolf fassungslos einen Toten im Arm hielt. Tief in der Brust des Gefesselten steckte ein Messer. Elana schaute dem flüchtenden Mörder nach. Es war derselbe Mann, der wenige Minuten zuvor mit seinem Trinkkumpanen den Reiter angegriffen hatte. Sie schüttelte den Kopf und begriff überhaupt nichts mehr. Seit wann bringen Straßenräuber einander gegenseitig um?
Während sie weitergingen, sah Elana nach dem Verletzten. Er lag immer noch ohnmächtig in den Armen Gerolds. Erneut kontrollierte Elana den Wundverband und den Herzschlag des Bewusstlosen. Bei seinem hilflosen Anblick jagten sich widersprüchliche Gedanken. Sie fühlte das Bedürfnis, ihn zu beschützen, aber seltsamerweise hatte sie Angst davor, ihn kennen zu lernen. Elana verstand sich selber nicht mehr.
Als Alexius am Morgen erwachte, schmerzte sein Kopf wie unter Hammerschlägen. Er lag auf einem unbekannten Bett und entdeckte neben sich einen hünenhaften Dunkelhaarigen, den er noch nie gesehen hatte. Verwirrt tastete er über seinen Kopf, bekam den Wundverband zu fassen.
»Ich bin Gerold«, stellte der Riese sich vor. »Bleibt liegen, Ihr seid verletzt.«
»Was ist geschehen?«, brachte Alexius heraus.
»Man hat Euch in einer Gasse niedergeschlagen …?« Fragend musterte Gerold den Verletzten.
»Mein Name ist Alexius. Ich bin Königsbote und gehöre zum Gefolge des Herrschers.«
»Auch wir … auch ich bin Sachse«, strahlte Gerold gutmütig. »Seid auf der Hut! Das waren keine gewöhnlichen Straßenräuber. Der eine entkam nämlich und kehrte später zurück, um seinen Kumpanen niederzustechen.«
»Soll das ein Schauermärchen sein?«, fragte Alexius ungläubig und hielt sich den dröhnenden Kopf. Wenig später war er wieder eingeschlafen.
Ein Albtraum schreckte ihn nach zwei Stunden erneut aus dem Schlaf. Die Erinnerung traf Alexius wie ein Schlag. »Ich muss weg«, stöhnte er und wandte sich an den geduldig neben ihm sitzenden Hünen. »Helft Ihr mir beim Aufstehen?«
»Mindestens zwei Tage müsst Ihr noch ruhen, Befehl meiner … Befehl meines Herrn.« Gerold drückte den Verletzten sanft auf das Bett zurück.
Doch Alexius ließ sich nicht beirren. »Ich bin mein eigener Herr. Morgen haben wir die Krönung in Sankt Peter.«
Als der andere zögerte, fügte er hinzu: »Ich muss dabei sein, wenn die Kaiserkrone zusammengesetzt wird. Befehl des Herrschers.«
Als der junge Fremde mit Gerold das Quartier verließ, stand Elana hinter dem Vorhang am Fenster. Nachdenklich schaute sie den Männern nach, bis sie hinter Krämerständen verschwunden waren. Mit einem leeren Gefühl im Magen setzte sie sich an den Tisch und starrte auf ihre Hände, während ihre Gedanken zum mysteriösen Überfall des Vortags zurückkehrten. Plötzlich kamen ihr die Schaufeln in den Sinn. Sie waren irgendwo in der dunklen Gasse liegen geblieben. Aber das Kästchen! Elana ging ins Vorzimmer und entdeckte es erleichtert auf einer Truhe. Sorgfältig wickelte sie es aus dem Tuch und stellte es auf den Tisch. Der Deckel ließ sich problemlos aufklappen. Gespannt nahm die junge Frau eine zuoberst liegende schwere Goldkette in die Hand. Darunter lagen Ringe, ungefasste Edelsteine und ein glitzerndes Kreuz, das fast die ganze Länge des Kästchens ausmachte. Liebevoll nahm die Sächsin das Kleinod in ihre Hände, strich mit den Fingern über die roten und grünen Edelsteine. Du wirst mir
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