Das Siegel der Macht
Elana, reise nach Rom!«
»Wir werden zusammen hingehen, Vater.«
»Nein, versprich mir, das Kreuz zu holen, du musst es mit einem Häuflein geheiligter römischer Erde in die Kapelle der Fallsteinburg bringen. Versprich es!« Als Elana immer noch zögerte, fuhr er fort: »Es ist nichts Außergewöhnliches, wenn Edelfrauen nach Rom pilgern. Du wirst bald Herrin der Fallsteinburg sein und ein Gefolge haben. Versprich, dass du gehen wirst.«
Versprich es, versprich es, versprich es. Die Worte dröhnten immer noch in der Erinnerung, als die Sächsin zusah, wie ihre Diener das Kästchen aus dem Boden hoben. Das eingeritzte ›W‹ auf dem Deckel beseitigte alle Zweifel. Zufrieden nickte die junge Frau.
Gerold wickelte das Kästchen in ein Tuch und nahm es unter den Arm.
Bevor sie den Dienern folgte, kniete Elana nieder, öffnete einen kleinen Beutel und häufte mit der bloßen Hand Erde hinein. Das Versprechen ist eingelöst, Vater. Du hast zwei Jahre warten müssen. Aber von jetzt an werde ich mit gutem Gewissen in unserer Kapelle beten.
Als sie Sankt Peter hinter sich gelassen hatten, konnte die Sächsin immer noch nicht glauben, dass die ganze Aktion ungestört abgelaufen war. Zur Sicherheit wies sie ihre Begleiter an, einen Umweg durch ein belebtes Quartier zu machen. Erst später wollte sie zu ihrer Unterkunft zurückkehren. Obwohl sie es nicht erwarten konnte, den Deckel des Kästchens zu heben, folgte die wieder tief in ihren Kapuzenmantel eingehüllte Burgherrin geduldig ihren Begleitern durch die Gassen.
Die meisten Fensterläden der zwei- und dreistöckigen Häuser waren zugesperrt. Ab und zu wiesen Lichter den Weg zu einer Gaststube. Elana sah nicht viel von ihrer Umgebung, weil sie ständig auf den Weg achten musste. Die Gassen strotzten vor Schmutz, bei einer Schreinerwerkstätte musste sie spitzen Holzstücken ausweichen. Einmal wäre sie fast auf glitschigen Gemüseblättern ausgerutscht, die neben einem verlassenen Marktstand auf dem Boden lagen. Die meisten Passanten beachteten das Grüppchen nicht, sie waren auf dem Weg von einer Schänke zur andern. Angewidert streifte Elanas Blick zwei betrunken dahintorkelnde Männer, die sich gegenseitig stützten. Sie wollte hastig weitergehen, als diese in eine schmale dunkle Gasse einbogen und mit einem Reiter zusammenstießen. Die junge Burgherrin drückte sich an eine Hausmauer, schaute zu. Obwohl das Mondlicht kaum zwischen die Gebäude schien, sah sie auf den ersten Blick, dass der Reiter jung und sein Umhang mit glitzernden Goldfäden durchwirkt war.
Was nun geschah, kam ihr wie ein Albtraum vor. Plötzlich wankten die beiden Männer nicht mehr unsicher, sondern richteten sich auf und rissen mit ihren kräftigen Armen den jungen Reiter aus dem Sattel. Einer hielt den Schreienden fest, während der andere mit einem Stein auf ihn einschlug.
Elana wandte sich um und wollte ihren Begleitern nachlaufen. Zu ihrer Erleichterung waren diese nur ein Stück weitergegangen, kamen gerade unschlüssig wieder auf sie zu.
»Da, rettet den Mann«, schrie sie ihnen zu. Gewandt fing die Sächsin das Kästchen auf und umfasste die Schaufeln, welche ihr von Gerold und Ricolf hastig zugeschoben wurden. Ob die Werkzeuge als Waffen zu gebrauchen waren? Elana verwarf den Gedanken und wartete. Nervös drückte sie ihre Fäuste zusammen, bis sie schmerzten. Sie bedauerte es, kein Mann zu sein. Wie gern hätte sie jetzt ein Schwert oder wenigstens ein Messer geführt. Zwei gegen zwei standen sich vor ihren Augen in der dunklen Gasse gegenüber, und sie war machtlos. Glücklicherweise hatten ihre Männer gute Schwerter.
Gerold und Ricolf konnten die nur mit Messern bewaffneten Angreifer nach kurzem Kampf von ihrem Opfer wegschleifen. Während sie mit vereinten Kräften den einen festhielten und ihm die Arme auf den Rücken drehten, gelang dem andern die Flucht. Er rannte um die nächste Hausecke und verschwand.
Elana ließ die Schaufeln fallen, drängte sich an den drei Männern vorbei und kniete neben dem bewusstlosen Reiter nieder. Er war jung, weniger als zwanzig Jahre alt. Behutsam strich sie ihm das blutverklebte dunkelbraune Haar aus der Stirn. Am Hinterkopf war die Haut geplatzt. Sie legte ihre Hand über seinen Mund. Der Atem ging regelmäßig, das Herz schlug. Aber die Wunde blutete. Elana stand auf und sah sich nach ihren Begleitern um. Sie waren damit beschäftigt, dem Angreifer die Hände auf dem Rücken zu fesseln. Kurz entschlossen riss Elana einige
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