Das Siegel der Macht
Ohren gestoßen.
Ein Schrei unterbrach die Erzählung der Klosterfrauen. Erschrocken schauten sie einer Mitschwester entgegen, die in den Kreuzgang gerannt kam. Sie war völlig aufgelöst.
»Bosos Sohn hat unseren Turm am Tessin erobert!«, rief die Novizin und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Sie trat zur Versammlung, schnappte nervös nach Luft. »Unsere Krieger … fast alle tot … Nur zwei sind geflüchtet und haben uns informiert.«
»Wir müssen sie sofort sprechen«, entschied die Äbtissin. »Kommt, Elana. Ihr dürft dabei sein. Vielleicht könnt Ihr uns wirklich helfen.«
Wenige Minuten später war ein Krieger mit Gerold nach Pavia unterwegs, um den Kaiser zu informieren. Der andere ließ sich im Krankenhaus eine Pfeilwunde verbinden. Berta und Elana folgten gespannt seiner Erzählung.
Im Morgengrauen hatte Boso von Nebiano mit seinen Kriegern die Besatzung des befestigten Turmes am Fluss überrumpelt. Ein Mann kletterte die Außenmauer hoch und schlüpfte durch einen Fensterspalt ins Gebäude, öffnete den Komplizen die Tür. Brutal wurden die aus dem Schlaf geschreckten Leute niedergemetzelt. Bosos Leute besetzten den Turm und bekamen damit die gesamte Hafenanlage am Tessin in ihre Gewalt. Auch die wirtschaftliche Kontrolle über eine Mühle.
Am nächsten Abend legte eine scheinbar harmlose Reisegesellschaft im Hafen an. Mehrere Schiffe mit einer streng bewachten Adelsdame aus Sachsen. Eilfertig bemühte sich der Hafenaufseher um die Neuankömmlinge, kassierte die Passage in blankem Silber. Die Herrin fühle sich schlecht, wurde ihm gesagt. Sie brauche festen Boden unter den Füßen. Ob sie im Turm am Tessin ausruhen oder vielleicht gar da übernachten dürfe?
Unterwürfig ging der Aufseher zur mittleren Bank des Hauptschiffes und verbeugte sich vor Elana. Er hatte keine Erfahrung in seinem Amt, im Umgang mit Vornehmen, war erst seit zwei Tagen verantwortlich für die Anlage am Fluss. »Ihr habt Glück«, stotterte er. »Der Sohn des Herrn dieser Ländereien ist hier. Er wird Euch gleich begrüßen, Ihr könnt aussteigen.«
Elana betrat mit einigen Begleitern das Hafengelände, blieb am Ufer stehen und wartete. Aus dem Turm kam ihr niemand entgegen. Langsam ging sie mit ihrem Gefolge vorwärts, bis der Schatten der Festung sie erreichte. Die junge Frau wartete erneut. Sie spürte instinktiv, dass neugierige Augen ihr durch die Mauerritzen entgegenspähten. Stolz hob sie den Kopf und beglückwünschte sich zu ihrer Kleiderwahl: eine glitzernde, hellblaue Tunika über einem zartweißen Hemd. Das blonde Haar fiel locker über ihre Schultern, verschönert durch silberne Bänder. Elana hatte kein Tuch über den Kopf gelegt. Als sich im Turm nichts regte, trat sie einige Schritte zurück. Sie spürte, wie die Sonne mit ihrem Haar spielte, es wie Gold in die Weite leuchten ließ.
Da endlich. Lautes Gerassel. Die Turmtür wurde geöffnet. Heraus traten einige Krieger und dahinter ein vornehmer junger Herr. Er ging der Fremden entgegen, nahm die Kopfbedeckung ab, verneigte sich.
»Euer Besuch ehrt mich. Ich bin Ripertus, der Sohn Bosos von Nebiano. Kommt in den Turm! Erfrischt Euch, ruht Euch aus, solange Ihr wollt.« Ripertus drückte die Mütze wieder auf sein schwarzes Haar.
Elana strahlte ihren Gastgeber an. Ihre braunen Augen blitzten interessiert. »Etwas später. Zuerst möchte ich im Freien festen Boden unter den Füßen spüren.« Sie drehte sich um und spazierte gemächlich zum Flussufer. Ripertus folgte ihr.
»Ihr müsst eine Schwester oder Base des Kaisers sein«, mutmaßte er. »Allerdings trägt Ihr kein Nonnenkleid.«
»Das tun die Kanonissen auf Reisen ebenfalls nicht. Aber Ihr habt Recht, ich bin keine Klosterfrau. Übrigens auch keine Verwandte des Kaisers.« Elana blieb stehen. Sie waren bei den Schiffen angelangt. »Könnt Ihr hier auf mich warten?«, fragte sie. »Ich möchte mich im Turm gern umziehen. Einen Augenblick, ich weise meine Dienerin an, eine leichte Seidentunika auszuwählen.« Elana sah den jungen Mann direkt an.
Ripertus’ dunkle Augen weiteten sich, der Gedanke an den Kleiderwechsel der jungen Frau brachte sein Blut in Aufruhr.
»Wenn Ihr im Turm übernachten möchtet … ein Gastgemach steht bereit.«
Elana senkte die Lider. »Ich weiß nicht …« Sie zögerte, fragte dann sanft: »Wollt Ihr das Schiff besichtigen?«
Galant nahm Ripertus ihre Hand und half ihr auf die Planken. Sein muskulöser Körper berührte sie leicht. Elana lächelte ihm zu
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