Das Siegel der Macht
hielt es mit der linken Hand fest. Leicht folgte die Feder den Bewegungen ihrer Finger, zauberte kunstvolle Striche auf das weiße Blatt. Immer wieder tauchte die Burgherrin aus Sachsen ihre Feder ins Tintenfass und füllte den Anfangsbuchstaben der Seite sorgfältig mit Punkten in roter und schwarzer Farbe aus. Das große A machte sich gut. Stolz stand Elana auf und betrachtete ihr Werk. Von den Nebentischen traten zwei Nonnen neben sie.
»Schade, dass Ihr nicht bei uns bleiben wollt«, meinte die jüngere Benediktinerin. »Hier können die meisten Schwestern nur gerade die Psalmen lesen und abschreiben. Richtige Gelehrte fehlen uns.«
»Wollt Ihr nicht wenigstens bis zur Abreise Unterricht erteilen?« Die Äbtissin Berta war hinter Elana getreten und musterte das kleine Kunstwerk auf Pergament. »Dort liegen die Wachstafeln der Schulmädchen. Für die ersten Schreibübungen eignen sie sich besser als das teure Pergament.«
»Sobald der Kaiser von Pavia abreist, begleite ich den Hof«, gab Elana mit Bedauern zurück.
Die Herrin der Fallsteinburg fühlte sich wohl bei den Schwestern. Hier herrschte eine südländische Fröhlichkeit, eine Komplizenschaft, die Elana neu war. Die Nonnen des Sankt-Martin-Klosters bei Pavia verwöhnten ihren vornehmen Gast aus dem Norden. Schon seit dem dritten Tag erlaubte die Äbtissin der jungen Sächsin den Zutritt zum Scriptorium. Elana freute sich immer darauf, im Refektorium zu essen und der Vorleserin zuzuhören. Manchmal verlor sich die Burgherrin in Erinnerungen. Ihre unverhoffte Heilung im vergangenen Jahr, die Rettung ihres Schützlings Alexius und ihre abenteuerliche Flucht aus Rom erschienen ihr im Nachhinein wie Wunder. Elana widmete gern mehrere Stunden am Tag dem Gebet, um Gott zu danken. Vor allem konnte sie es nicht erwarten, mit den kaiserlichen Schiffen den Pofluss hinunterzureisen und in Ravenna den heiligen Eremiten Romuald zu treffen. Auch in Rom musste Elana noch ein Gelübde erfüllen. Sie hatte wegen der gefährlichen Rettung des Kaiserboten keine Zeit gehabt, am Grab der heiligen Konstanze zu beten.
Im Sommer Anno Domini 998 summte es im Kloster des heiligen Martin bei Pavia wie in einem Bienenhaus. Mit vereinten Kräften versuchten die Nonnen, ihre Probleme von Elana fern zu halten. Aber die Harmonie war gestört, bald erreichten die Gerüchte sie trotzdem. Im September wurde die Sächsin plötzlich selbst vom Wirbelsturm fortgerissen.
Sie stand an diesem bedeckten Morgen mit den Schwestern auf und ging gleich nach dem Gebet in den Arbeitsraum der Äbtissin. Die neusten Pergamentblätter im Scriptorium waren von schlechter Qualität. Elana wollte die Vorsteherin Berta informieren. Vergeblich klopfte sie mehrmals an die Tür und wandte sich schließlich erstaunt ab. Das passte nicht zum Tagesrhythmus der Äbtissin. Regelmäßigkeit war ihre Stärke. Elana schaute in den hauswirtschaftlichen Räumen nach. Nichts. Enttäuscht durchquerte sie den Kreuzgang.
Da waren sie alle beieinander und gestikulierten. Nervös wie eine Schar aufgescheuchter Hühner.
»So kann das nicht weitergehen«, übertönte die Stimme der Äbtissin alle anderen. »Boso von Nebiano gibt sich nie zufrieden. Im letzten Jahr Oliva und Cisterna, im Frühjahr Monalto. Jetzt hat er auch Magnano in Besitz genommen.«
»Wir müssen uns wehren und den Bischof informieren«, pflichtete eine Seniorin bei. »Vor allem auch den Kaiser.«
Die Nonnen bemerkten Elana und schwiegen. Verlegen wollte diese hinter den Arkaden des Kreuzgangs verschwinden, besann sich aber anders. Sie ging zur Äbtissin, kniete nieder, drückte die Lippen auf den Fingerring. Entschlossen wandte sie sich an die versammelten Schwestern. »Vielleicht kann ich nützlich sein, wenn ihr mich lasst.«
»Hier helfen keine Schreibübungen, was wir brauchen, sind Waffen«, wies eine Benediktinerin mit strenger Adlernase sie zurecht.
»Ich habe achtzehn Panzerreiter in der Nähe stationiert.«
Berta und die Nonnen bildeten einen Kreis um Elana. Aufgeregt weihten sie ihren Gast aus Sachsen in die Leidensgeschichte des Klosters ein. Nichts als Übergriffe und Grobheiten. Seit Jahren. Es gab viele secundi milites, die in der Lombardei Kirchen- und Klostergut raubten. Dem Nonnenkonvent des heiligen Martin gegenüber aber kannte die Frechheit der kleinen Landadligen keine Grenzen. Allen voran Boso von Nebiano. Er eroberte alle paar Monate neue Besitzungen. Sämtliche Proteste der Nonnen waren beim örtlichen Bischof auf taube
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