Das Siegel der Macht
und schritt an ihren Gefolgsmännern vorbei nach hinten.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Elanas im Schiff zurückgebliebene Begleiter umzingelten den Herrensohn aus Nebiano, nahmen ihm die Waffen ab.
»Ich bin keine Nonne, aber eine Freundin des Klosters Sankt Martin.« Elanas Freundlichkeit passte nicht zu den Messerspitzen an Ripertus’ Hals. »Habt die Güte und zeigt Euch am Bug des Schiffes, dort.«
Die Einnahme des Hafenturmes war eine Sache von Minuten. Als die Gefolgsmänner des Lehnsherrn von Nebiano den gefangenen und mit Waffen bedrohten Ripertus auf dem Schiff sahen, ergaben sie sich kampflos. Elana ließ die Mannschaft laufen.
»Teilt Eurem Herrn mit, sein Sohn bleibe hier in Gewahrsam, bis die Besitzfragen geklärt sind«, beauftragte sie den Hauptmann. »Sagt ihm außerdem, Äbtissin Berta werde beim Kaiser Klage einreichen.« Elana bestimmte einige Gefolgsmänner, die den Turm besetzt halten mussten.
Als sie mit der anderen Hälfte ihrer Panzerreiter ins Kloster zurückkehrte, war es schon dunkel. Todmüde ging sie zu Bett, aber ihre Augen schlossen sich nicht. Die Burgherrin durchlebte in der Erinnerung nochmals ihr Abenteuer und wurde unruhig. Ich hätte nicht die Hälfte, sondern alle Panzerreiter im Turm zurücklassen sollen, warf sie sich vor. Was können neun Bewaffnete schon ausrichten, wenn der Herr von Nebiano seinen Sohn befreien will? Je mehr sie nachdachte, desto aufgebrachter wurde Elana gegen sich selbst. Sicher würde Boso den Turm stürmen, der ganze Aufwand war umsonst gewesen.
Plötzlich hörte die Sächsin vom Fenster her ein Geräusch. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Öffnung und spähte in die Dunkelheit. Da war es wieder, ein Rauschen, jetzt lauter. Elana beugte sich vor und schaute über die Brüstung hinweg in den Vorgarten, der das Hauptgebäude von der Klostermauer trennte. Neben der Pforte sprang ein Tier über das Gras und streifte die Hecke. Elana atmete auf. Nur ein Lamm hatte sich von der Weide in den Klosterhof verirrt und konnte in der ungewohnten Umgebung keine Ruhe finden.
Erleichtert kehrte die Burgherrin ins Bett zurück. Wieder ging ihr die Bedrohung des Turmes am Tessin durch den Kopf, die Unruhe hielt sie hellwach. Schließlich stand sie auf und zog die Sandalen an. Leise schlich sie durch den Kreuzgang zur Kammer der Äbtissin.
»Ich mache mir Sorgen«, flüsterte Elana, als Berta verschlafen die Tür öffnete. »Seid Ihr ganz sicher, dass Euer Turm uneinnehmbar ist?«
Die Äbtissin seufzte: »Und deswegen weckt Ihr mich mitten in der Nacht?« Sie besann sich und fuhr freundlicher fort: »Sicher, Elana. Der Turm ist uneinnehmbar, sofern nicht jemand eine List ausdenkt wie Ihr heute.«
»Ich mache mir Vorwürfe, weil wir den Kaiser nur informiert haben. Um sofortige Hilfe hätten wir ihn bitten sollen. Wer weiß, vielleicht sind meine Panzerreiter am Tessin in Gefahr.«
»Dann schickt einen weiteren Boten zum Kaiser«, schlug Berta vor. »Ihr könnt ja einen von Euren Panzerreitern beauftragen.« Die Klostervorsteherin gähnte.
Enttäuscht kehrte Elana in ihre Schlafstube zurück. Da die Äbtissin nichts unternehmen wollte, musste sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Sie zog sich an und ging durch einen Nebenausgang ins Freie. Intensiver Rosmarinduft stieg ihr im Klostergarten in die Nase. Eilig ließ die Sächsin das Haupthaus hinter sich und steuerte auf das Ökonomiegebäude zu. Wolken verdeckten den Mond, sie konnte fast nichts sehen. Endlich erreichte sie das Hühnerhaus und sah die Stalldächer von weitem. Sie atmete erleichtert auf: Im Dachstock des Pferdestalls waren ihre Panzerreiter einquartiert.
Keine zehn Schritte entfernt sah Elana plötzlich einen Mann über den Vorplatz huschen. Rasch duckte sie sich hinter einen Strauch. Panik stieg in ihr auf, das Herz klopfte bis zum Hals. Gebannt starrte sie nach vorn. Weitere geduckte Gestalten bewegten sich auf die Ställe zu. Elana sah, dass sie bewaffnet waren. Ich muss meine Leute warnen, fuhr es ihr durch den Kopf. Aber schreien ist zu gefährlich. Verzweifelt sah sie sich um. Eine zum Ökonomiegebäude gehörende Hütte stand dem Pferdestall am nächsten. Elana drückte sich eng an die Klostermauer und bewegte sich bis zur Hütte vorwärts. Die Tür stand offen, das Innere war verstellt mit Geräten und Werkzeug. Ein ideales Versteck. Rasch trat die Burgherrin wieder vor die Hütte und spähte zum Pferdestall. Schon war er umzingelt, ein Mann schlich gerade dem Eingang entgegen,
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