Das Siegel der Macht
Unter keinem Becher war die Münze.
Strahlend zog der Gaukler eine vergoldete Kapsel aus seinem Umhang und öffnete sie. Darin lag die verschwundene Münze.
Der junge Grieche lachte und schenkte dem Gaukler das Silberstück.
Während ein Flötenspieler sein Instrument zur Seite legte und mit klarer Stimme zu singen begann, trat der Haushofmeister ein und flüsterte seiner Herrin einige Worte ins Ohr. Elana nickte, er führte eine Schar ärmlich gekleideter Menschen in den Saal. Zögernd traten Männer, Frauen und Kinder an den Tisch. Sie warfen nur einen flüchtigen Blick auf die Musikanten und Gaukler. Beim Anblick der duftenden Speisen vergaßen die Armen ihre Zurückhaltung, griffen heißhungrig in die halb vollen Schüsseln.
»Bald werde ich mehr Land verteilen können«, sagte Elana auf Sächsisch zu den Bauern. Zu Alexius in Latein: »Eine Hufe Land pro Familie reicht knapp, die Leute zu ernähren. Aber ich habe ihnen bisher nicht mehr geben können. Zu viele Kinder! Jeder heranwachsende Sohn will seine eigene Familie und ein Stück Land.«
Alexius hatte Mühe, seine Aufmerksamkeit von den Musikanten loszureißen. Schließlich fragte er: »Weshalb werden nicht mehr Wälder gerodet?«
»Nicht jedes Waldstück eignet sich. Außerdem sträuben sich die Leute dagegen. Abgebrannt sind die Wälder schnell, das Ausgraben der Wurzelstöcke aber ist eine höllische Arbeit. Ich hätte auch nicht genügend Burgmannen, um immer größere Felder zu schützen.«
»Vermutlich habt Ihr einfach zu viele Bauern.«
»Morgen bei unserem Ausritt werdet Ihr verstehen weshalb.«
»Es wird mir eine Freude sein, Euch zu begleiten. Denkt daran, morgen eine Unterredung mit dem Vogt einzuplanen. Da Eure neuen Ländereien bisher von einem nahen Kloster verwaltet wurden, muss ich ihn über die kaiserlichen Schenkungen informieren.«
»Gut.« Elana dachte nach. »Wie lange werdet Ihr auf der Fallsteinburg bleiben?«
»Zwei, drei Tage, mehr nicht.«
»Wohin geht es dann?«
»Ich werde den Hof irgendwo nördlich der Alpen kreuzen. Die Route kenne ich ja. Wohin der Kaiser mich dann schicken wird, liegt noch in den Sternen.«
»Werdet Ihr wieder … nach Rom reisen?«
»Ich glaube ja.«
Die junge Frau wandte sich ab. Sie wollte ihren besorgten Gesichtsausdruck vor ihm verbergen.
»Den Kaiser ward es bald wieder nach Süden ziehen«, fuhr Alexius fort. »Außerdem vermute ich, dass Papst Gregor sich ohne Hilfe seines kaiserlichen Verwandten nicht lange wird halten können.«
Verzweifelt bemühte Elana sich um Gelassenheit. Aber die Sorge ließ nicht nach. Jetzt kannte sie Alexius persönlich, fühlte sich noch stärker in die Beschützerrolle ihm gegenüber gedrängt. Da die unbeschwerte Laune nicht mehr zurückkehren wollte, erhob sie sich. Dem aufspringenden Gast drückte sie sanft die Hand auf den Arm. »Bleibt noch und hört den Musikanten zu!« Elana neigte den Kopf und verließ den Saal.
Am nächsten Morgen saß die Burgherrin mit ihrem Stickrahmen am Fenster, als Alexius verschlafen den frisch geschrubbten Saal betrat. Hastig schob sie die Handarbeit zur Seite. Alexius spürte ihre Unruhe.
»Wir wollen sofort ausreiten.« Elanas Stimme hatte einen drängenden Unterton. »Ich muss wichtige Angelegenheiten regeln.«
Alexius folgte ihr wortlos. Er sah, dass sie keine Sandalen, sondern Lederschuhe trug. Über das Hemd hatte sie eine leichte braune Tunika geworfen. Elanas einziger Schmuck war ihr Haar. Sie hatte in die blonden Kraushaare gelbe Kordeln geflochten und diese im Nacken verschlungen.
Zielstrebig umrundete Elana die Burg und steuerte auf die Küche zu, die aus Sicherheitsgründen in einem frei stehenden kleinen Steinhaus untergebracht war. Der Speisemeister kam auf sie zugeeilt und nahm die Anweisungen für den Tag entgegen.
Der Weg zu den Ställen war belebt wie die Straße einer Stadt. Mägde trugen rohe Speisen zur Küche. Zwischen ihnen flatterten Hühner und Gänse, die den trockenen Erdboden vergeblich nach Körnern absuchten.
Alexius sah Fronarbeiter mit Holzwerkzeug und Fässern. Fast wären sie mit einem Kesselmacher zusammengestoßen, der mehrere Pfannen aufeinander geladen hatte.
Die Pferde waren neben den Eseln und Maultieren einquartiert. Für Alexius stand ein kräftiger Brauner bereit. Elana ließ sich vom Stallmeister in den Damensattel heben und lockerte die Zügel ihrer weißen Stute.
Ziel der Burgherrin war die letzte Holzhütte vor dem Wald. Sie konnten das erste Wegstück innerhalb des
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