Das Siegel der Macht
Korb war mit Beeren gefüllt, in einer Schüssel trug sie frischen Honig.
»Für unser Abendessen«, rief Elana Alexius zu.
Die Frau blieb stehen und neigte den Kopf. Sie diente in der Küche der Fallsteinburg.
Elana wollte weiterreiten, besann sich aber anders. Ohne auf Alexius zu achten, stieg sie ab und zog das Mädchen in den Schatten eines Baumes. »Johanna, möchtest du heiraten? Jetzt könnte ich eine Hufe Land für dich beschaffen.«
Die Dienerin wohnte im Frauengebäude innerhalb des Wehrbezirks. Sie gehörte zu den servi non casati, zu den Leibeigenen ohne Haus. Nur mit dem Einverständnis der Burgherrin durfte sie eine Ehe eingehen.
Verwirrt senkte die Hörige den Blick und sagte nichts.
Elanas Augen musterten sie aufmerksam, folgten der Rundung ihres Körpers. Johanna ist schwanger, dachte sie.
Leise schluchzte die Leibeigene, nahm Schüssel und Korb fester in die Hände und wollte ihren Weg fortsetzen.
Elana packte sie beim Arm. »Wer ist der Vater?«
»Ich … weiß es nicht. Er hat wohl schon eine Frau und Kinder.«
»Ist er jung?«
Johanna blickte zu Boden, wurde rot. »Nein. Alt und ein Jäger. Er hat mich im Wald genommen. Ich … ich würde ihn nicht wieder erkennen.«
Die Burgherrin war entrüstet. »Du wirst künftig nicht mehr in den Wald gehen, Johanna.« Als die Leibeigene teilnahmslos nickte, lächelte Elana und nahm ihr Gesicht sanft zwischen die Hände. »Bei mir wird dein Kind es gut haben. Du kannst mit ihm im Frauenhaus wohnen bleiben.«
Als sie weiterritten, schwieg Elana. Sie trieb das Pferd wild an und machte ihrer Wut Luft. Die Felder flogen an ihnen vorbei. Plötzlich zog sie an den Zügeln und brachte das Reittier abrupt zum Stehen. Alexius wollte sie vom Sattel heben, aber die Burgherrin stieß ihn weg, sprang zu Boden. Wieder und wieder trat sie mit dem Schuh gegen die Erde.
»Ich verstehe das einfach nicht«, sagte sie empört. »Die Kirche verbietet Vergewaltigungen, aber die Männer übertreten ungestraft das Gesetz. Hörige sind auch Menschen!«
»Könnt Ihr sie nicht … trotzdem verheiraten?«
Elana überlegte. Grobe Männer gingen ihr durch den Kopf, die ihre Frauen schlugen und wie Vieh behandelten. Wie oft hatte sie aus den Hütten von Bauern und Leibeigenen die Schreie der gedemütigten Frauen gehört. Sie verscheuchte ihre Erinnerungen und entspannte sich. »Was würde eine Heirat schon ändern. Im Gegenteil. Eigentlich ist Johanna so viel besser dran. Ich werde ihr Kind unter meinen Schutz nehmen.«
Alexius strahlte unvermittelt. »Das Neugeborene interessiert Euch?«
»Ich weiß, was Ihr im Kopf habt. Wahrscheinlich hat Eure Frau schon mehrere Kinder geboren. Aber ich? Nein, ich selber denke nicht ans Heiraten.« Elana setzte sich auf einen Baumstamm und überließ sich ihren Gedanken. Plötzlich brach es aus ihr heraus. »Wisst Ihr, dass die verheiratete Frau selbst hier in Sachsen alle ihre Rechte verliert?«
»Habt Ihr nicht gesagt, sie könne erben und über ihre Mitgift verfügen?«
»Ja, aber das geht nur, wenn der Ehemann will. Wie soll sie es anstellen, wenn ihr Herr sich gegen sie richtet? Der Mann hat volle Gewalt über die Frau. Wenn er eigenwillig über ihren Besitz verfügt, kann sie nichts tun. Solange sie sein ist, darf sie ihn rechtlich nicht belangen. Aus seiner Gewalt aber kann nur er selbst sie entlassen. Erst wenn er sie verstößt, darf sie klagen.«
Dies führte in Sachsen nicht selten zu Fehden. Die Familie der verstoßenen Gattin forderte die Mitgift zurück. War die nicht mehr vorhanden, gab es Krieg zwischen den nobiles. Weit herum erzählte man sich von einer Fehde, die dreißig Jahre gedauert und neunzehn Tote gefordert hatte.
Alexius hörte der Burgherrin beeindruckt zu. »Unglaublich, was Ihr alles wisst!« Als Elana keine Antwort gab, verlor sich Alexius’ Blick in den Kornfeldern. Die Erinnerungen wanderten heim nach Reims. Goldenes, reifes Getreide auch dort, Fruchtbäume und die elterliche Burg. Zärtlichkeit, Heimweh durchfluteten den Missus. Elanas Probleme waren ihm fremd. Seine Mutter hatte den gebildeten Leon aus Byzanz vom ersten Augenblick an geliebt. Ihr Vater ließ sich von den Urkunden und Geschenken aus Konstantinopel beeindrucken. Als Leon kaiserliche Ländereien gegen Besitzungen bei Reims eintauschen konnte, gab der westfränkische Graf die letzten Bedenken auf. Emma durfte den Geliebten aus Byzanz heiraten. Die Augen der Mutter leuchteten in Alexius’ Erinnerung, führten seine Gedanken zu
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