Das Siegel der Macht
Norden mitgenommen hatte, ritt immer an seiner Seite. Als drei Ljutizen mit gezückten Schwertern auf sie zustürmten, ritt Brun von Wormsgau neben dem Fahnenträger, einem Priester aus Bremen. Der Geistliche war sofort tot.
Mutig riss Brun die Fahne an sich und galoppierte an der Spitze einer Kriegerschar am Rande des Schlachtfeldes. Von hinten wollte er sich den letzten feindlichen Reihen nähern und Verwirrung stiften. Um die Heere zu umgehen, mussten seine Kämpfer einen Wald durchqueren, kamen in einen Weiler. Schreiend flüchteten die Bewohnerinnen in ihre Hütten. Brun von Wormsgau gab das Haltezeichen. Die Heidinnen würden mit frischem Wasser ihren Durst löschen.
Brun sprengte einer slawischen Bäuerin nach, die in einen Stall rannte. Er stieg vom Pferd und folgte ihr. Endlich, hinter Holzscheiten in einer Ecke sah er sie verängstigt kauern. Ihre Hände umklammerten die angezogenen Beine. Brun packte ihren Arm und zog sie hoch. Erschrocken blitzten die grünen Augen im von rötlich blonden Strähnen umwirrten Gesicht. Die Frau war jung und verlockend schön. Bruns Gewissen schien plötzlich tot, er war ein Krieger. Seine Hände zerfetzten ihr Hemd. Feste junge Brüste, zusammengepresste Schenkel. Brun riss ihren Kopf am Haar nach hinten, drängte mit der Zunge zwischen ihre Lippen. Aufpeitschende, nie gekannte Begierde. Der Priester warf sie ins Heu. Gierig stieß er zwischen ihre Beine, stieß zu, bis ihr Schluchzen zum Schrei wurde, seine Lust zur Erlösung.
Am Abend fand Brun keinen Trost beim Gebet. Nicht das Leiden der Slawin wühlte sein Gewissen auf. Der Feldzug gegen die Heiden war ein gerechter Krieg. Gewalt einer Heidin gegenüber keine richtige Gewalt, keine Sünde. Etwas ganz anderes peinigte seine Seele. Die schlimmste aller Sünden. Er war dem Fleisch verfallen, hatte Begierde verspürt, eine Frau genommen. Der Gedanke an die vielen Priester niedrigen Standes, die sich Frauen hielten und sogar Ehen schlossen und Kinder aufzogen, brachte keine Erleichterung. Sinnlos war der Vergleich mit irgendwelchen anderen Priestern. Brun von Wormsgau fühlte sich zu Höherem berufen. Alles war ihm heilig, Priestertum, Zölibat, die Reinheit des Körpers, der Seele …
Die Erinnerungen an den slawischen Feldzug schmerzten Papst Gregor wie Peitschenhiebe. Er litt, würde noch mehr leiden, flehend beten, bis der Herr bereit war, ihm zu vergeben. Vor den Mauern Spoletos sah der verjagte Apostolische Hirte wieder klar. Er musste nach Norden reiten und auf das Heer des Kaisers warten. Den Auftrag Gottes erfüllen. Er hatte seine Niederlage demütig hingenommen als Strafe des Herrn. Jetzt würde der Himmel ihm helfen, Rom zurückzuerobern.
12
Der Klosterbruder raffte seine Kukulle und huschte hinter einen Pfeiler. Niemand beachtete ihn. Im düsteren Gotteshaus brannten wenige Kerzen, ihr Licht warf verschwommene Schatten zwischen die Steinbögen. Nur die Umrisse der ihrem Professalter nach eingereihten Mönche ließen sich ausmachen. Demut färbte ihren Gesang, Gottesfurcht und Glaube. Bevor der Psalm verklang, saß der Klosterbruder bereits in der Wärmestube. Er dankte dem Herrn, dass in diesem kalten Herbst des Jahres 996 die Fußbodenheizung ausnahmsweise schon Ende Oktober funktionierte. In der Kirche war es bitterkalt, im Klostergarten der Reichenau gefroren die Pfützen. Maurus rieb sich tüchtig die Hände und fühlte, wie die Wärme von den Füßen nach oben stieg.
In der Ferne hörte er die knirschenden Sandalen der Mönche. Nur Schritte, keine Stimmen. In der nächtlichen Pause zwischen den Lobgesängen war das Sprechen verboten. Der Mönch schlich lautlos aus der Wärmestube in den Gang. Oben im Schlafsaal streckten sich die Klosterbrüder auf ihren Betten aus. Maurus hatte keine Zeit zum Ruhen. Er eilte weiter zum Scriptorium.
Martin und Pirmin saßen über kostbar verzierten Pergamentstücken. Gespannt fixierten sie den Mitbruder.
»Der Vater Abt plant schon wieder eine Reise. Er will den Hof in Nimwegen treffen!«, flüsterte dieser. »Und wir magern immer mehr ab.«
»Wir müssen uns versammeln«, unterbrach ihn Martin. »Ein Großteil der Mitbrüder denkt wie wir.«
»Ja, aber lassen wir für heute die Verschwendungssucht unseres Abts. Wir müssen mit dem Reichsboten sprechen, sonst ist es zu spät. Bald reist er weiter nach Einsiedeln.«
Pirmins Worte klangen ängstlich. »Wollen wir die ganze Geschichte nicht lieber Bischof Lambert anvertrauen?«
»Nein, der Hof des Kaisers muss
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