Das Siegel der Macht
schwiegen sie. Starrten einander an. Wussten nicht, wo beginnen. Schließlich sagte Alexius: »Morgen reise ich ab und habe meinen Auftrag nicht erfüllen können. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich muss Euch vertrauen.«
Maurus zog zu viel Luft ein und verschluckte sich. »Ich bin auch gekommen, um mich Euch anzuvertrauen«, sagte er hustend. »Wollen wir würfeln, wer beginnt?«
Alexius strahlte, sprudelte erleichtert seinen Bericht heraus. Er erzählte Maurus vom Mord in Verona, von den letzten Worten seines Freundes Carolus. Vom Besuch bei Bischof Woldo in Chur, der rätselhaften Pergamentrolle mit dem Edelstein. »Nun bin ich auf der Durchreise nach Einsiedeln auf die Reichenau gekommen. Ich weiß, dass der Mord an Carolus aus irgendeinem Grund mit diesem Kloster zusammenhängt. Aber wie?«
Ungläubig starrte Maurus auf den Boten. »Könnt Ihr Euch an den Wortlaut des Briefes erinnern?«
»Es waren zwei Schreiben, das eine von Carolus. Wer diese Zeilen hier verfasst hat, weiß ich nicht.« Alexius nahm die Kopie zur Hand und las vor: »Man hat versucht, mich zu töten. Ich habe Bruchstücke eines Gesprächs zwischen Abt Witigowo und zwei Gästen gehört. Heilige Worte von Bischofswahlen und Äbten …«
»Dieses Pergament kenne ich.« Maurus war so aufgeregt, dass er fast keuchte. »Unser Bruder Maxim hat es verfasst. Offenbar ist er während des Schreibens gestört und dann ermordet worden. Ich habe den Brief letzten Herbst selbst gefunden und dem Königsboten Carolus übergeben. Er sollte ihn zur Kanzlei der Hofkapelle tragen.«
»Vor der Ausreise aus Schwaben hat Carolus eine Kopie davon zusammen mit seinem eigenen Schreiben beim Bischof von Chur deponiert.«
»Weshalb?«
»Was weiß ich? Vielleicht weil Carolus nur mit einem Diener reiste. Die Wälder sind voll von wilden Tieren und Räubern. Vermutlich hatte er einfach Angst, nicht heil in Verona anzukommen.«
»Das ist möglich. Aber Carolus hat den Hof erreicht. Ihr sagt es ja selbst. Nur hat er den Brief nicht abgeliefert.«
»Wir wissen das nicht sicher. Vielleicht ist er getötet worden, weil er den Brief falschen Händen anvertraut hat. Erst im Moment des Todes hat er das begriffen. Weshalb hätte er mich sonst zum Bischof von Chur geschickt?«
»Eine verwirrende Geschichte.« Maurus strich sich über die bartlose Backe und griff erneut zum Weinbecher. »Vor allem verstehe ich eines nicht. Warum habt Ihr nicht den Kaiser oder die Hofkapelle informiert? Eine Aufklärung im großen Stil würde die Wahrheit am besten ans Licht bringen.«
»Wem in der Hofkapelle hätte ich vertrauen sollen? Und der Kaiser … er hätte alles als Vermutung abgetan. Für ihn ist Carolus im Aufstand des Veroneser Adels gegen die deutschen Ritter getötet worden.« Alexius umfasste den Arm des Arztes: »Nein, wir müssen selbst herausfinden, was Euren Mitbruder und meinen Freund das Leben gekostet hat. Erzählt mir von Maxim!«
Maurus kleidete schreckliche Erinnerungen in Worte. Alexius hörte den nicht verdauten Schmerz heraus. Der Arzt hatte den erschlagen aufgefundenen Bruder Maxim selbst untersucht. Mit zertrümmertem Schädel lag der Mönch im Schilf, trug nichts bei sich. Maurus nahm an, er sei von einem Verrückten überfallen worden. Bis er in der Zelle des Verstorbenen nach einer medizinischen Schrift über Kräuter suchte und darin verborgen den angefangenen Brief fand.
»Ich bin sicher, dass Maxim etwas Wichtiges gehört hat«, sagte Maurus. »Vermutlich wollte er alles in dem Brief aufschreiben und wurde dabei gestört. Auf der Flucht hat man ihn erschlagen und damit zum Schweigen gebracht.«
»An wen könnte er den Brief gerichtet haben?«
»Keine Ahnung. Wir Mönche lassen alle Verwandtschaften und Freundschaften an der Klosterpforte zurück. Niemand schreibt uns, und wir suchen keinen Kontakt mit der Welt. Ich weiß nicht einmal genau, wo Maxim eigentlich herkam.«
»Abt Witigowo wird mir helfen können«, mutmaßte Alexius.
Maurus erschrak. »Maxim ist gestorben, nachdem er Witigowos Unterredung gehört hat. Und vergessen wir nicht, dass unser Abt im Frühling mit dem Hof nach Italien gereist ist. Er war in Verona, als Carolus getötet wurde.«
»Ihr glaubt doch nicht im Ernst …«
»Nein, unser Abt ist ein heiliger Mann, auch wenn er für seine Bauten und Reisen zu viel Silber ausgibt. Aber wer weiß, welche Verbindungen er hat.«
»Ist bekannt, mit wem Abt Witigowo jene verhängnisvolle nächtliche Unterredung
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