Das Siegel der Macht
gegen ihr leichtes Gefährt. Verängstigt klammerte die junge Frau sich an die Sitzbank. Schließlich gelang es ihr, den Esel in einen offenen Stall zu lenken. Sie hüllte sich tiefer in ihren Umhang und ging zu Fuß weiter. Als sie die Brücke vor dem Kastell überquert hatte, bog sie links ab und eilte über den Portikus zur sächsischen Schule.
Unzählige Male war Lucilla nach dem plötzlichen Verschwinden des Geliebten in seinem Quartier neben der sächsischen Schule gewesen. Man erklärte ihr immer, die kaiserliche Delegation habe sich in Luft aufgelöst. Dann kam nach fast drei Monaten der Straßenjunge mit dem Amulett. Lucilla wusste, dass Alexius am Leben war. Seither fragte sie regelmäßig nach ihm.
Der Kellermeister von Alexius’ Quartier, der das letzte Mal bereitwillig Erkundigungen für sie eingeholt hatte, starrte Lucilla entsetzt an. »Geh nach Hause, verstecke dich! Bald wird hier die Hölle los sein.«
»Sind Nachrichten von Alexius eingetroffen? Er hat mir versprochen …«
»Das kaiserliche Heer steht vor den Toren Roms«, unterbrach er sie. »Sicher ist dein Missus bei den Kriegern. Was hat es für einen Sinn, ausgerechnet jetzt hierher zu kommen? Geh, Mädchen, geh!« Verwirrt lief Lucilla davon. Vor der sächsischen Schule wurde sie durch lauter werdendes Hufgeklapper alarmiert. Ein Soldatentrupp sprengte auf sie zu. Lucilla brachte sich im Toreingang der Schule in Sicherheit. Glücklicherweise stand die Tür einen Spaltbreit offen. Rasch schlüpfte sie in den Hof und versteckte sich hinter dem Brunnen.
Schon klopfte der Befehlshaber der Bewaffneten an das zugefallene Tor. »Im Namen des Crescentius, öffnet.« Diesem Befehl durfte sich niemand widersetzen. Die Tür wurde aufgesperrt, Soldaten drängten ins Innere, nahmen wahllos Leute gefangen.
»Auch diese hier«, schrie der Kommandant und riss Lucilla die Kapuze vom Kopf. Das glänzende schwarze Haar floss über ihre Schultern. »Sie ist zwar nicht blond wie die anderen Sachsen. Aber vielleicht die Geliebte irgendeines vornehmen Herrn. Als Geisel genauso wertvoll wie die Gelehrten.« Grinsend zog er Lucillas Kopf an seine Schulter und flüsterte ihr zu. »… und vielleicht noch für anderes zu gebrauchen, nicht wahr, Täubchen?« Er gab ihr einen Klaps auf das Gesäß und schob sie einem Krieger zu. Laut brüllte er seine Befehle.
Lucilla wurde an den Handgelenken gepackt. Ein Soldat hob sie auf sein Pferd und galoppierte mit dem Trupp zur Engelsburg. Alle anderen Gefangenen wurden in einem Wehrturm eingesperrt, nur mit Lucilla ritten zwei Krieger in das zylinderförmige Kastell. Als die vielen Drehungen nicht aufhören wollten, fühlte Lucilla sich fast schwindlig. Im obersten Stock wurde sie unsanft in einen kleinen Raum geschubst, der noch nach Mörtel roch.
Erschrocken sah Lucilla sich um, aber der Anblick des Mobiliars nahm ihr die schlimmste Angst. Das war keine Gefängniszelle, sondern ein behaglicher neu gebauter Aufenthaltsraum. Sogar einen Teppich gab es, ein Bett und einen Sessel. Als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, ging die Römerin zum Fenster. Der Schlitz war schmal, die neue Mauer aber so dünn, dass sie sich nicht hinauslehnen musste, um etwas zu erkennen: Oben eine graue Portion regnerischer Himmel. Dahinter der vom Heer überdeckte Mons Gaudii und rechts von Sankt Peter die Porta San Peregrini. Die Kaiserlichen hatten mit der Belagerung des Stadttors begonnen.
Lucilla setzte sich auf das Bett und tastete nach ihrem Amulett. Erleichtert fühlte sie die goldene Fassung der heiligen Haarlocke, entspannte sich. Die Reliquie des Märtyrers Adalbert gab ihr Mut.
In der leoninischen Vorstadt versuchte Crescentius Nomentanus vergeblich, Widerstand zu leisten. Er musste die Tore und Befestigungen räumen und zog sich mit seinem Gefolge hinter die Wehrmauern um die Engelsburg zurück. Papst Johannes Philagathos hatte Rom im Morgengrauen verlassen. In einem Turm in der Campagna hielt er sich versteckt.
Otto und Papst Gregor kümmerten sich nicht sofort um die Verlierer. Ein Freund des geflüchteten Gegenpapstes brachte dem Kaiser dessen Botschaft. Johannes Philagathos bot erneut seine Unterwerfung an, flehte um Gnade, um Rettung seines Lebens. Kaiser und Papst ließen sich nicht umstimmen. Uneingeschränktes Vertrauen hatte Otto einst seinem byzantinischen Taufpaten geschenkt. Johannes Philagathos aber hatte sich durch Machtlust verführen lassen, die Freundschaft zu verraten. Dies konnte vor der Welt nicht
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