Das Siegel der Macht
ungestraft bleiben.
Gemeinsam zogen Otto und Papst Gregor mit dem Gefolge durch die Stadt. Wie ein Mann traten die Römer aus ihren Behausungen, flankierten die Straßen. Ehre wurde den Mächtigen erwiesen, man beugte die Rücken, jubelte, hoffte auf Frieden. Von Sankt Peter bewegte sich die Prozession der Sieger zum Lateran.
Papst Gregor nahm von seinem Palast Besitz wie von einem Schatz. Ohne sich um das Gefolge zu kümmern, eilte er ins Sancta Sanctorum hinauf und warf sich vor der Ikone auf den Boden, sog die mystische Ausstrahlung des blassen Christusgesichts in sich auf. Hier bin ich wieder, Herr.
In den päpstlichen Privatgemächern lagen seine Kleider bereit. Als ob niemals ein Invasor in seinem Bett geschlafen, seine Insignien getragen hätte. Gregor verlor keine Zeit mit einem Bad. Staubig, wie er war, zog er ein frisches Hemd an. Darüber die mit Edelsteinen bestickte rote Alba und das Pallium. Feierlich trat der deutsche Papst in die Halle und setzte sich auf seinen zurückgewonnenen Thron. Otto kniete wie alle Mitglieder des Gefolges vor ihm nieder. Bewegt erteilte Gregor den Segen. Kaiser und Papst waren wieder die beiden aus dem Norden gekommenen Lichter der Welt. Aber wer war die Sonne, wer der nur reflektierende Mond?
Der Besuch des kaiserlichen Missus bei Lucilla musste warten. Alexius, mit dem Leben in Rom besser vertraut als die meisten Mitglieder des Gefolges, sollte im Lateran Erkundigungen einziehen. Nach langen vergeblichen Verhören spürte er einen jungen Wachmann auf, der für klingendes Silber die Wahrheit verkaufte. Er verriet dem Missus das Versteck des geflüchteten Johannes Philagathos.
Am nächsten Morgen galoppierte eine Abteilung des deutschen Heeres südwärts. Otto bestand ausdrücklich darauf, dass Alexius die Soldaten begleitete. Der Graf der Olseck kannte sich in der römischen Campagna besser aus als in seinen neuen sächsischen Ländereien.
Tatsächlich waren der Befehlshaber der Abteilung und sein Stellvertreter genauso fremd in Rom wie ihre Krieger. Alexius erkannte den Mann sofort wieder, der neben dem deutschen Kommandanten ritt. Es war Graf Christoph von Rätien, der Vater der schönen Gisela.
Auf dem direktesten Weg leitete der Missus die Soldaten in die Albanerberge. In einem steinernen Turm am Ufer eines Vulkansees hielt sich, wie erwartet, der geflüchtete Johannes Philagathos verborgen. Man gab ihm keine Gelegenheit, um Gnade zu flehen. Der Kommandant stürmte mit seinen Kriegern den Turm und führte den Gefangenen nach Rom.
»Erinnert Ihr Euch an unsere Jagdpartien?«, brach Graf Christoph das Schweigen, als sie der Porta Appia entgegenritten.
»Ich habe oft an die Tage bei Euch gedacht, als ich im Kastell des Crescentius eingekerkert war.«
»Nur an mich, lieber Freund?« Christophs Offenheit brachte Alexius nicht aus dem Konzept. Gerade passierten sie das Quartier bei der Porta Appia, wo Lucilla wohnte. Am liebsten hätte Alexius den Soldatenzug allein zum Lateran ziehen lassen. Aber dem kaiserlichen Kommandanten schuldete er Respekt. Statt einer Antwort lächelte Alexius und trieb sein Pferd nach vorn, zum mit Stricken gefesselten Johannes Philagathos.
Im Abendlicht zeichnete sich der Lateranpalast ab. Vor der Johanneskirche hatte sich Volk zusammengerottet, niemand wollte die Einkerkerung des in Ungnade gefallenen Papstes verpassen. Stolz ritt der kaiserliche Kommandant neben dem Gefangenen und hielt dessen Zügel. Die Leute erkannten den unglücklichen Papst und beschimpften ihn.
Kurz vor dem Tor gab der Kommandant das Haltezeichen. Alexius verzichtete dankbar auf die Ehre, den Invasor durch die Pforte zu führen, und bat um Entlassung. Dann verabschiedete er sich von Graf Christoph.
»Ihr habt meine Tochter beeindruckt«, schmunzelte der Feudalherr aus Rätien. »Sobald Ihr wieder nordwärts zieht, werdet Ihr uns hoffentlich besuchen.«
Als der Missus Richtung Porta Appia zu Lucillas Haus ritt, konnte er die Schreie aus dem Verlies beim Lateran nicht hören. Man erzählte ihm erst am Abend davon. Auf kaiserlichen oder päpstlichen Befehl erlitt Johannes Philagathos fürchterliche Rache. Verstümmelt an Gesicht und Händen wurde der entmachtete Papst in ein Kloster überführt.
Einige Tage später folgte nach dem römischen Ritus seine Absetzung. Alexius folgte der feierlichen Synode nur mit halbem Ohr. Auf Ottos Wunsch zwang er sich während des langwierigen Prozesses kein einziges Mal, den Lateran zu verlassen. Aber die Verhandlungen
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