Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
sagte, der Raum sei voller Geistwesen und alles geschehe gleichzeitig. Die Bilder überlagerten sich, waren durchsichtig wie diese auf Klarsichtfolie gedruckten Darstellungen im Biologiebuch. Ich irrte durch Gärten, in denen bedrohliche Pflanzen mit fleischigen Blättern wuchsen, Pilze, die Gift ausschwitzten, böse Blumen. Ich entdeckte ein vierjähriges Mädchen, zusammengekauert, völlig verängstigt, streckte die Hand aus, wollte sie hochheben, und sie war ich. Verschiedene Zeiten und Menschen wechselten von einem Bild ins andere. Ich traf auf mich selbst in unterschiedlichen Phasen meines Lebens und in anderen Leben. Ich begegnete einer Alten mit grauen Haaren, winzig, aber aufrecht und mit loderndem Blick; auch sie kann ich selbst gewesen sein, in ein paar Jahren, aber da bin ich nicht sicher, denn diese Greisin war umgeben von einer wirren Menschenmenge.
    Mit einemmal war dieser bevölkerte Raum fort und um mich nur noch Weiß und Stille. Ich glitt dahin, ein Adler mit weit ausgebreiteten Schwingen, unter die der Wind griff, und ich sah hinab auf die Welt, war frei, mächtig, allein, stark, gleichmütig. Lange verweilte dieser große Vogel im Weiß und stieg dann an einen anderen Ort, noch großartiger, in dem jede Form verschwand und alles einzig Geist war. Kein Adler mehr, keine Erinnerungen und Gefühle; es gab kein Ich, ich löste mich in Stille auf. Hätte ich auch nur einen Funken Bewußtsein oder Willen in mir gespürt, ich hätte dich gesucht, Paula. Viel später entdeckte ich ein kleines Rund, wie eine Silbermünze, und schnellte darauf zu wie ein Pfeil, passierte den Durchgang und war mühelos im völligen Nichts, einem flirrenden und tiefen Grau. Es gab kein Empfinden, keinen Geist, nicht das geringste eigene Selbst, dennoch spürte ich ein göttliches und absolutes Sein. Ich war im Innern der Göttin. Es war der Tododer die Seligkeit, von der die Propheten sprechen. Wenn Sterben so ist, bist du in einer unerreichbaren Dimension, und es ist absurd, wenn ich mir vorstelle, du würdest mich durch meinen Alltag begleiten, mir bei meinen Aufgaben, hochfliegenden Plänen, meinen Ängsten und Eitelkeiten zur Seite stehen.
    Unendlich viel später kehrte ich wie eine erschöpfte Pilgerin auf demselben Weg zurück in die vertraute Wirklichkeit, auf dem ich sie verlassen hatte: Ich passierte die kleine silberne Mondscheibe, schwebte in der Sphäre des Adlers, sank hinab ins Weiß und hinein in die psychedelischen Bilder, bis ich schließlich wieder in meinen geschundenen Körper gelangte, der seit zwei Tagen sterbenskrank lag, von Willie umsorgt wurde, der schon befürchtete, seine Frau in der Welt der Geister für immer verloren zu haben. Willie war durch das Ayahuasca weder der Seligkeit noch dem Tod begegnet, hatte vielmehr in einer bürokratischen Vorhölle gesteckt, wo er Akten hin und her räumte, bis die Wirkung der Droge nach ein paar Stunden nachließ. Unterdessen hatte ich auf dem Boden gelegen, wo er mir dann ein Kissen unter den Kopf schob und mich zudeckte, hatte gezittert, wirres Zeug genuschelt und immer wieder Schaum erbrochen, der von Mal zu Mal heller wurde. Am Anfang war ich aufgeregt gewesen, aber dann lag ich entspannt und reglos, ich schien nicht zu leiden, sagt Willie.
    Am dritten Tag war ich wieder ganz bei Bewußtsein, blieb im Bett und ließ diese ungewöhnliche Reise Revue passieren. Ich wußte, daß ich die Trilogie jetzt würde schreiben können, denn sollte meine Phantasie ins Stocken geraten, würde ich mich an meine Erfahrung mit dem Ayahuasca erinnern, die ähnlich heftig war wie mein Erleben als Kind. Diese Drogenreise erfüllte mich mit etwas, das ich nur Liebe nennen kann, mit einem Gefühl des Einsseins: Ich hatte mich im Göttlichen aufgelöst, gespürt, daß es keine Trennung gab zwischen mir und allem übrigen, alles warlicht gewesen und still. In mir blieb die Gewißheit, daß wir Geistwesen sind und alle Materie Illusion ist, was sich nicht beweisen läßt, was ich aber schon manches Mal für kurze Momente empfunden habe, beim Anblick überwältigender Landschaften, im Zusammensein mit einem geliebten Menschen oder während der Meditation. Ich nahm den Adler für dieses Menschenleben als mein Totemtier an, diesen Vogel, den ich aus großer Höhe hatte hinabspähen sehen. Nur der Abstand erlaubt es mir, Geschichten zu erzählen, weil ich die Eckpunkte und Verbindungslinien erkennen kann. Es sieht aus, als sei ich gemacht, um immer weiterzuerzählen. Mir taten alle

Weitere Kostenlose Bücher