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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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hibbeligen Ameise, die ins Tintenfaß geraten war und zufällig die ägyptische Schrift entdeckt hatte, Wort für Wort zu wiederholen. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr an das gelehrte Insekt erinnern und hockte selber in der Tinte, wenn sie mich drängten, doch in meinem Kopfcomputer nachzusehen. »So ein Ameisenleben ist das Letzte, immer nur schuften und der Königin dienen. Wißt ihr was? Ich erzähle euch lieber vom Mörderskorpion«, und ehe sie merkten, wie ihnen geschah, war ich mitten in der Geschichte. Doch es kam der Tag, an dem auch das nicht mehr fruchtete; da versprach ich ihnen, daß ich drei Bücher schreiben würde zu den Themen, die sie mir vorgaben, genau wie wir das mit den spontanen Geschichten vor dem Schlafengehen immer getan hatten.
    Das erste Thema, das meine Enkel mir nannten, hatte sich bereits in vielen früheren Geschichten abgezeichnet:Die Rettung der Natur. Stoff für das Abenteuer Die Stadt der wilden Götter fand ich in meinen Reiseerlebnissen am Amazonas. Inzwischen weiß ich, daß ich meinen Brunnen der Inspiration durch Reisen füllen kann, sollte er je noch einmal versiegen wie nach deinem Tod. Meine Phantasie wird wach, wenn ich meine gewohnte Umgebung verlasse, anderen Menschen und Lebensarten begegne, Sprachen, die ich nicht spreche, Ereignissen, die ich nicht vorhersehen kann. Daß der Brunnen sich füllt, merke ich an dem Aufruhr, in den meine Träume geraten. Die angesammelten Eindrücke und Geschichten verwandeln sich in lebhafte Traumbilder, manchmal in heftigen Albdruck, der von der Ankunft der Musen kündet. Am Amazonas tauchte ich in eine alles verschlingende Natur ein, überall Grün, überall Wasser, ich sah Kaimane, groß wie Kanus, blaßrosa Delphine, Rochen, die wie Teppiche durch das teefarbene Wasser des Río Negro schwebten, Piranhas, Affen, unglaubliche Vögel und alle Arten von Schlangen, sogar eine Anakonda, tot zwar, aber doch eine Anakonda. Ich hätte nicht gedacht, daß mir je etwas davon nützlich sein würde, weil es nicht zu den Romanen paßte, die ich bisher geschrieben hatte, doch als ich mir ein Jugendbuch vornahm, konnte ich aus dem vollen schöpfen. Alejandro war mein Vorbild für Alexander Cold, die Hauptfigur, und seine Freundin Nadia Santos ist eine Mischung aus Andrea und Nicole. Im Buch reist Alex mit seiner Großmutter Kate, einer Reiseschriftstellerin, ins Amazonasgebiet, wo er Nadia kennenlernt. Die beiden gehen im Urwald verloren, treffen auf einen Stamm »unsichtbarer« Indianer und auf eine Art prähistorischer Bestien, die in einem Tepui leben, einem dieser atemberaubenden Tafelberge, die es in dieser Gegend gibt. Auf die Idee mit den Urzeitbestien kam ich, weil ich in einem Restaurant in Manaus hörte, wie sich eine Gruppe von Wissenschaftlern über ein riesiges, menschenähnliches Fossil unterhielt, das man im Urwald gefunden hatte. Es war nicht klar, zuwelchem Tier die Knochen gehörten, ob zu einem Affen oder zu etwas wie einem tropischen Yeti. Davon ausgehend, war es nicht schwer, sich die Ungetüme vorzustellen. Die unsichtbaren Indianer gibt es tatsächlich, ihre Stämme leben wie in der Steinzeit, und sie bemalen ihre Körper zur Tarnung in den Farben des Waldes und bewegen sich so lautlos, daß du drei Meter neben ihnen stehen kannst und sie nicht siehst. Viel von dem, was man mir auf meiner Reise über Korruption, Geldgier, illegale Geschäfte, Gewalt und Schmuggel erzählt hatte, floß in die Handlung ein, aber bestimmend für das Buch und seinen Tonfall ist der Ort, an dem es spielt: der Urwald.
    Wenige Wochen nachdem ich mit dem ersten Band der Trilogie begonnen hatte, mußte ich mir eingestehen, daß ich meiner Phantasie nicht so kühn freien Lauf zu lassen vermochte, wie es dem Vorhaben gutgetan hätte. Es fiel mir schwer, in die Haut dieser beiden Jugendlichen zu schlüpfen, die mit Unterstützung ihrer »Totemtiere«, wie sie in der mündlichen Überlieferung vieler Eingeborenenstämme eine Rolle spielen, ein außergewöhnliches Abenteuer zu bestehen hatten. An die Schrecken meiner eigenen Kindheit, als ich weder über mein Dasein noch über die Welt ringsum die geringste Macht besaß, kann ich mich gut erinnern. Ich fürchtete mich vor sehr konkreten Dingen, etwa davor, daß mein Vater, der schon so lange fort war, daß selbst sein Name in Vergessenheit geraten war, zurückkäme und mich einforderte, oder davor, daß meine Mutter starb und ich in einem düsteren Waisenhaus von nichts als Kohlsuppe leben müßte,

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