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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Kanonen auf Spatzen geschossen. »Immer mit der Ruhe, Mama, man kann sich nicht gegen alles wappnen«, sagte er. Und da dachte ich an dich, Tochter, an den Militärputsch in Chile und an so viele andere für mein Leben ausschlaggebende Momente. Auf die wesentlichen Ereignisse, auf diejenigen, die den Lauf des Lebens bestimmen, habe ich keinen Einfluß, also lasse ich besser los. Die kollektive Hysterie hatte mich diese erschreckende Lektion über Wochen vergessen lassen, aber Nicos Bemerkung brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück.

Juliette und die griechischen Kinder
    Während der Recherchen zu meiner Jugendbuchtrilogie lernte ich in der Book Passage Juliette kennen, eine junge, sehr schöne und sehr schwangere Amerikanerin, die Mühe hatte, den unglaublichsten Kugelbauch, den ich je gesehen habe, im Gleichgewicht zu halten. Sie erwartete Zwillinge, aber nicht ihre eigenen, sondern die eines fremden Paares; sie habe nur ihren Bauch ausgeliehen, sagte sie. Das ging auf ihre selbstlose Initiative zurück, aber als ich die Geschichte dahinter hörte, blieb mir die Spucke weg.
    Mit vierundzwanzig Jahren hatte Juliette die Universität beendet und reiste nach Griechenland, ein naheliegendes Ziel für jemanden, der Kunstgeschichte studiert hat, und dort lernte sie auf der Insel Rhodos Manoli kennen, einen Bilderbuchgriechen mit langen Haaren, Prophetenbart und samtweichem Blick, dessen entwaffnendem Wesen sie auf der Stelle erlag. Manoli trug sehr knappe Shorts, und wenn er sich bückte oder beim Sitzen die Beine übereinanderschlug, konnte man einen Blick auf seine Schamteile erhaschen. Die müssen ganz außergewöhnlich gewesen sein, jedenfalls verfolgten ihn die Frauen in leichtem Trab durch die engen Gassen von Lindos, seinem Heimatort. Manoli war ein begnadeter Erzähler und konnte zwölf Stunden am Stück auf dem Platz oder im Café verbringen, wo ein Schwarm Zuhörer an seinen Lippen hing. Schon die Geschichte seiner eigenen Familie klang wie ein Roman: Die Türken hatten dem Großvater und der Großmutter vor den Augen ihrer sieben Kinder die Köpfe abgeschlagen, dann mußten die Kinder zusammen mit vielen hundert anderen griechischstämmigen Gefangenen vom Schwarzen Meer bis in den Libanon wandern. Auf dem Todesmarschstarben sechs der Geschwister, nur Manolis Vater, der damals sechs Jahre alt war, überlebte.
    Unter den zahlreichen sonnengebräunten Touristinnen, die sich gern mit ihm im heißen griechischen Sand gerekelt hätten, wählte Manoli Juliette, die Schöne, die so unschuldig wirkte. Den Inselbewohnern hatte er als unverbesserlicher Junggeselle gegolten, und sie staunten nicht schlecht, als er ihr einen Heiratsantrag machte. Er war schon einmal verheiratet gewesen, kurioserweise mit einer Chilenin, die am Tag der Hochzeit mit einem Yoga-Lehrer durchgebrannt war. Der genaue Hergang war ungeklärt, es wurde gemunkelt, der Rivale habe Manoli LSD in den Wein gemischt, und als der am nächsten Tag in einer psychiatrischen Klink wieder zu sich kam, sei seine flatterhafte Braut bereits über alle Berge gewesen. Er hörte nie wieder etwas von ihr. Um ein zweites Mal zu heiraten, mußte er sich offiziell bestätigen lassen, daß seine erste Frau vor der Ehe geflüchtet war, schließlich war sie nicht aufzutreiben, um die Scheidungspapiere zu unterzeichnen.
    Manoli bewohnte ein altes Haus am Rand der Steilküste, das Jahrhunderte hindurch den Inselwachen als Ausguck über das Ägäische Meer gedient hatte. Erblickten sie feindliche Schiffe am Horizont, stiegen sie auf ein Pferd, das stets gesattelt bereitstand, und eilten in die fünfzig Kilometer entfernte, von den Göttern gegründete Stadt Rhodos, um Alarm zu schlagen. Manoli hatte Tische nach draußen gestellt und das Haus in ein Restaurant verwandelt. Jedes Jahr bekam es einen neuen weißen Anstrich und die Fensterläden und Türen einen braunen, wie es in dem idyllischen Ort üblich ist, wo keine Autos fahren und sich alle Leute mit Vornamen kennen. Das von einer eigenen Akropolis gekrönte Lindos hat sich seit Jahrhunderten kaum verändert, sieht man von der mittelalterlichen Burg ab, die mittlerweile in Ruinen liegt. Juliette zögerte nicht zu heiraten, obwohl ihr von Beginn an bewußt war, daß dieser Mann sich nichtwürde anbinden lassen. Um der quälenden Eifersucht zu entgehen und der Demütigung, über Dritte von seinen Eskapaden zu erfahren, sagte sie ihm, er könne Affären haben, soviel er wolle, aber niemals hinter ihrem Rücken – sie

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