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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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ihrer Schlafhütte öffnen wollte. Es war eine der giftigsten, die es gibt. In derselben Nacht plumpste etwas Warmes, Feuchtes, Haariges von der Decke, landete auf den beiden und huschte davon. Es war fort, ehe sie das Licht anschalten konnten. Tabra nuschelte, es sei sicher ein Bilch gewesen, schob ihr Kopfkissen zurecht und schlief weiter; er hielt den Rest der Nacht Wache, bei Festbeleuchtung und mit seinem Schlachtermesser in der Hand, ohne den leisesten Schimmer, was ein Bilch eigentlich war.
    Juliette und ihre Söhne verbrachten ganze Wochen bei uns. Keiner in der Familie ist höflicher und zuvorkommender als Aristoteles. Wie jeder Grieche, der auf sich hält,besitzt er einen angeborenen Hang zur Tragödie, und sehr früh hat er die Rolle des Beschützers für seine Mutter und seinen kleinen Bruder übernommen, aber durch das Zusammensein mit anderen Kindern wurde seine Bürde leichter und er lustiger. Ich glaube, er ist zum Schauspieler berufen, macht nicht nur immerzu Faxen und sieht gut aus, sondern bekommt auch in den Stücken des Schultheaters regelmäßig die Hauptrolle. Achill war noch immer ein Wonneproppen, strahlte alle an, verteilte Küsse und wurde sehr verhätschelt. Er hatte Schwimmen gelernt wie ein Aal und wäre zwölf Stunden am Stück im Wasser geblieben. Wir fischten ihn runzlig und von der Sonne gerötet heraus und zwangen ihn, aufs Klo zu gehen. Ich möchte mir nicht vorstellen, was alles in diesem Wasser unterwegs ist. »Keine Sorge, bei dem Chlorgehalt könnte eine Leiche drin schwimmen, und es würde nichts ausmachen«, versicherte mir der Angestellte der Wartungsfirma, als ich ihm meine Zweifel vortrug.
    Die Kinder veränderten sich von Tag zu Tag. Willie hatte immer gesagt, Andrea habe Alejandros Gesichtszüge, sie seien nur durcheinandergeraten, würden aber irgendwann an den richtigen Platz finden. Offensichtlich geschah das gerade, auch wenn sie selbst es gar nicht merkte, sie lebte in anderen Sphären, träumte mit der Nase in ihren Büchern, war verstrickt in unmögliche Abenteuer. Nicole war sehr klug und eine gute Schülerin, außerdem mochte sie Leute um sich, schloß rasch Freundschaften und war als einzige in dieser frauengeprägten Sippe, in der keine sich in Verführungskünsten verausgabt, kokett. Jeder Frau, die ihren Sinn für Ästhetik kennt, kann Nicole durch einen einzigen kritischen Blick alles Vertrauen in ein Kleidungsstück nehmen, nur Andrea ist in Modefragen immun und läuft wie eh und je verkleidet herum. Wir hatten Nicole monatelang mit einer rätselhaften schwarzen Kiste gesehen und sie so lange bedrängt, bis sie uns schließlich den Inhalt zeigte. Es war eine Geige. Sie hatte sie in der Schule ausgeliehen, weil sieirgendwann im Schulorchester spielen möchte. Sie klemmte sie unters Kinn, hob den Bogen, schloß die Augen und versetzte uns mit einigen kurzen und tadellos gespielten Stücken in Erstaunen, die wir sie nie hatten üben hören. Alejandro hatte gerade noch rechtzeitig einen Wachstumsschub bekommen, ich drängte bereits darauf, ihm Wachstumshormone zu geben wie den Kälbern, damit er kein Winzling bliebe. Mir graute davor, daß er als einziger meine unliebsamen Gene geerbt haben könnte, aber in jenem Jahr stellten wir erleichtert fest, daß er noch einmal davongekommen war. Obwohl man schon den ersten dunklen Flaum über seiner Oberlippe sah, benahm er sich weiter wie ein Springinsfeld, schnitt Grimassen vor dem Spiegel und ging uns mit unpassenden Witzen auf die Nerven, offenbar entschlossen, die Last des Erwachsenwerdens und der Selbständigkeit um jeden Preis zu vermeiden. Er hatte schon angekündigt, bei seinen Eltern zu bleiben, mit einem Fuß bei dem einen, mit einem Fuß bei dem anderen Paar, bis er heiratete oder man ihn am Schlafittchen nahm und vor die Tür setzte. »Sieh zu, daß du groß wirst, ehe uns die Geduld ausgeht«, pflegten wir ihn zu warnen, weil wir seine Kaspereien leid waren. Die Zwillinge schipperten in aufblasbaren Schildkröten auf dem Pool, aus der Ferne von Olivia beargwöhnt, die immer noch hoffte, sie würden ertrinken. Von all den Ängsten, die diese Hündin hatte, als sie zu uns kam, sind ihr zwei geblieben: die vor Regenschirmen und die vor Zwillingen. Alle diese Kinder und ihre vielen Freunde, die ständig bei uns waren, beendeten den Sommer braun wie Schokomuffins und mit grünen Haaren wegen der Chemikalien im Pool, die so giftig sind, daß sie den Rasen versengen. Wo die Badenden ihre nassen Füße hingesetzt

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