Das Siegel der Tage
werden.
Doña Inés und Zorro
Während Tabra Anstalten traf, das Land zu verlassen, war ich in die Recherchen zu einem Stoff vertieft, der mich seit vier Jahren beschäftigte: die aberwitzige Großtat der hundertzehn heroischen Halunken, die 1540 Chile eroberten. Bei ihnen war eine Frau, Inés Suárez, Näherin aus Plasencia, einer Stadt in der spanischen Extremadura. Auf den Spuren ihres Ehemanns war sie in die Neue Welt gereist, war bis nach Peru gelangt und hatte dort feststellen müssen, daß sie Witwe war. Doch anstatt in ihre Heimat zurückzukehren, blieb sie und verliebte sich später in Don Pedro de Valdivia, einen Edelmann, der »um des Ruhmes willen, und weil man sich meiner erinnern soll«, wie er in seinen Briefen an den König von Spanien schrieb, davon träumte, Chile zu erobern. Aus Liebe, nicht aus Goldgier oder Ruhmsucht, ging Inés mit ihm. Seit Jahren verfolgte mich das Bild dieser Frau, die durch die Atacamawüste gezogen war, den trockensten Landstrich der Welt, wie ein tapferer Soldat gegen die Mapuche gekämpft hatte, die kriegerischsten aller Ureinwohner Amerikas, einer Frau, die Städte gegründet hatte und schließlich hochbetagt, erfüllt von Liebe zu einem anderen Eroberer, gestorben war. Sie lebte in grausamen Zeiten und beging selbst mehr als eine Greueltat, doch erscheint sie, verglichen mit den Glücksrittern um sie herum, als rechtschaffene Person.
Ich werde häufig gefragt, woher die Anregungen zu meinen Büchern stammen. Ich wüßte es nicht zu sagen. Auf der Reise des Lebens sammle ich Erfahrungen, die in die tiefsten Schichten der Erinnerung sinken, dort Wurzeln ziehen, sich wandeln und zuweilen wie seltsame Pflanzen aus anderen Welten die Oberfläche durchstoßen. Woraus besteht dieser reiche Nährboden des Unbewußten? Wiesowerden manche Bilder zu Motiven, die uns wieder und wieder in Träumen oder im Schreiben begegnen? Ich habe mich in verschiedenen Genres bewegt und vielfältige Stoffe bearbeitet, mir kommt es vor, als würde ich in jedem Buch alles neu erfinden, selbst den Stil, aber ich tue das nun seit über zwanzig Jahren und bin nicht blind für die Wiederholungen. In fast jedem meiner Bücher gibt es wagemutige Frauen, die aus ärmlichen Verhältnissen stammen, verletzlich sind und dafür vorgesehen, ein Leben in Demut zu führen, sich jedoch dagegen auflehnen und für die Freiheit jeden Preis zu zahlen bereit sind. Inés Suárez ist so eine. Immer sind diese Frauen leidenschaftlich in ihrem Lieben und solidarisch mit anderen Frauen. Ihr Antrieb ist nicht Ehrgeiz, sondern Liebe; sie stürzten sich ins Abenteuer, ohne die Folgen zu ermessen oder einen Blick zurückzuwerfen, weil es ungleich schlimmer ist, an dem Platz zu verharren, den die Gesellschaft ihnen zuweist. Vielleicht bin ich deswegen nicht interessiert an Königinnen oder Töchtern aus vermögenden Verhältnissen, die auf Rosen gebettet heranwachsen, oder an Frauen, die übermäßig schön sind und von der Männerwelt auf Händen getragen werden. Du hast mich immer ausgelacht, Paula, weil die gutaussehenden Frauen in meinen Büchern vor Seite sechzig sterben. Das sei der blanke Neid meinerseits, hast du behauptet, und in gewisser Weise stimmte das wohl, denn ich wäre zu gern eine dieser Schönen gewesen, die mühelos erreichen, was sie sich wünschen, aber für meine Bücher bevorzuge ich sturmerprobte Heldinnen, denen nichts geschenkt wird und die alles selbst erringen. Es muß einen also nicht wundern, daß ich aufhorchte, als ich zwischen den Zeilen eines Geschichtsbuchs – in denen findet man über Frauen selten mehr als ein paar Zeilen – auf Inés Suárez stieß. Sie war eine Art Figur, wie ich sie für gewöhnlich erfinden muß. Während der Recherchen wurde mir klar, daß nichts, was ich mir ausdachte, die Wirklichkeit dieses Lebens würde übertreffen können. Daswenige, was man über diese Frau weiß, ist atemberaubend und sagenhaft. Ihre Geschichte wartete nur darauf, von mir erzählt zu werden, aber meine Pläne wurden von drei ungewöhnlichen Besuchern fürs erste durchkreuzt.
An einem Samstagmittag standen drei Personen vor unserer Tür, die wir erst für Missionare der Mormonen hielten. Es waren keine, Gott sei Dank. Wie sie mir erklärten, verwalteten sie die Weltrechte an »Zorro«, dem kalifornischen Helden, den wir alle kennen. Ich bin mit ihm aufgewachsen, weil Onkel Ramón ein Fan von ihm war. Du weißt ja, Paula, daß dein Großvater von Salvador Allende 1970 zum Botschafter in
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