Das Siegel der Tage
Argentinien ernannt wurde, eine der schwierigsten diplomatischen Missionen zu jener Zeit, die er mit Bravour erfüllte, bis zum Tag des Militärputschs, als er zurücktrat, weil er nicht bereit war, eine Tyrannei zu vertreten. Du bist oft dort gewesen, mit sieben Jahren allein mit dem Flugzeug gereist. In dem riesigen Botschaftsgebäude mit seinen ungezählten Sälen, dreiundzwanzig Bädern, drei Konzertflügeln und einem Heer von Angestellten fühltest du dich wie eine Prinzessin, weil dein Großvater dir weisgemacht hatte, es handele sich um seinen eigenen Palast und er selbst gehöre zum Königshaus. Während dieser drei arbeitsreichen Jahre in Buenos Aires zog sich der Herr Botschafter jeden Nachmittag um vier einerlei aus welcher Verpflichtung zurück, um im Fernsehen heimlich eine halbe Stunde Zorro zu schauen. Mit dieser Vorgeschichte konnte ich gar nicht anders, als die drei Besucher mit offenen Armen zu empfangen.
Zorro wurde 1919 von Johnston McCulley, einem kalifornischen Autor von Zehn-Cent-Heftchenromanen, geschaffen und ist zur Kultfigur geworden. Der Fluch des Capistrano erzählte die Abenteuer eines jungen spanischen Edelmanns im Los Angeles des neunzehnten Jahrhunderts. Tagsüber war Don Diego de la Vega ein hypochondrisches,frivoles Muttersöhnchen; nachts kleidete er sich in Schwarz, zog eine Maske über und verwandelte sich in Zorro, Rächer der Indios und der Armen.
»Wir haben mit der Figur schon alles mögliche gemacht: Filme, Fernsehserien, Comics, Verkleidungsuntensilien, nur einen Roman gibt es nicht. Würden Sie ihn gern schreiben?« schlugen die drei Besucher mir vor.
»Wie kommen Sie darauf ? Ich bin eine seriöse Autorin, ich schreibe nicht auf Bestellung«, war meine erste Reaktion.
Aber dann mußte ich an Onkel Ramón denken und an meinen Ersatzenkel Achill, der sich zu Halloween als Zorro verkleidet hatte, und die Idee ließ mich nicht mehr los, so daß Inés Suárez und die Eroberung Chiles sich hinten anstellen mußten. Die Inhaber der Rechte an Zorro waren der Meinung, das Vorhaben sei mir wie auf den Leib geschneidert: Ich bin Lateinamerikanerin, schreibe in Spanisch, kenne Kalifornien und besitze etwas Erfahrung mit historischen Romanen und Abenteuerbüchern. Hier liege der klassische Fall einer Person auf der Suche nach einem Autor vor. Für mich stellte sich die Sache allerdings weniger eindeutig dar, weil diese Person keiner meiner bisherigen Hauptfiguren ähnelte; Zorro war kein Stoff, den ich mir selbst ausgesucht hätte. Mit dem letzten Band der Jugendbuchtrilogie hatte ich dieses Experiment für beendet erklärt, es hatte mir gezeigt, daß ich lieber für Erwachsene schreibe: Man ist weniger eingeengt. Ein Jugendbuch macht nicht weniger Arbeit als ein Buch für Erwachsene, aber man muß ziemlich vorsichtig sein, wenn es um Sex, Gewalt, Gemeinheiten, Politik und anderes geht, was einer Geschichte Farbe verleiht, von den Verlagen aber häufig als nicht »kindgerecht« empfunden wird. Die Vorstellung, daß ich mit einer »positiven Botschaft« schreiben soll, macht mich krank. Ich sehe keinen Grund, die Kleinen zu schonen, die sowieso jede Menge Mist mitbekommen; im Internet können siesich fette Frauen beim Geschlechtsverkehr mit Eseln ansehen oder Drogendealer und Polizisten, die einander gegenseitig in widerlichster Weise foltern. Wie naiv zu glauben, man könne ihnen über die Seiten eines Buchs positive Botschaften vermitteln; damit erreicht man bloß, daß sie nicht lesen. Zorro ist eine rundum positive Figur, ein edelmütiger Held, der die Gerechtigkeit sucht wie Che Guevara, stets bereit ist, den Reichen etwas abzunehmen, um es den Armen zu geben, wie Robin Hood und dabei ewig jung bleibt wie Peter Pan. Man würde sich mächtig anstrengen müssen, einen Schuft aus ihm zu machen, und wie mir seine Inhaber erklärten, war das nicht Sinn der Sache. Außerdem dürfe der Roman keine expliziten Sexszenen enthalten, sagten sie. Kurz: eine gewaltige Herausforderung. Ich überlegte es mir gründlich und traf meine Entscheidung schließlich wie üblich: Ich warf eine Münze. Und so kam es, daß ich mich über Monate mit Diego de la Vega in meinem Häuschen einschloß.
Zorro war schon zu sehr ausgeschlachtet worden, es gab nicht mehr viel zu erzählen, außer seinen jungen und seinen späten Jahren. Ich entschied mich für die jungen, denn niemand sieht seinen Helden gern zahnlos im Rollstuhl. Wie war Diego de la Vega als Kind gewesen? Weshalb war er zu Zorro geworden? Ich
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