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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Jahren, zurückschaue, muß ich Willie recht geben. Falls diese Seiten hinreichen, werde ich noch von einigen anderen epischen Waffengängen zwischen uns erzählen, auch wenn wohl keiner derart heftig war wie der Kampf um Sabrina, in dem unsere unterschiedlichen Temperamente und unsere kulturelle Herkunft aufeinanderprallten. Ich wollte Willies Argumente nicht hören, verschanzte mich in blinder Wut auf das Rechtssystem, den Richter, die Sozialfürsorgerin, die Amerikaner im allgemeinen und Willie im besonderen. Wir flüchteten beide aus dem Haus: Willie blieb bis in die Nacht hinein im Büro, und ich packte einen Koffer und zog zu Tabra, die mich ohne Sperenzchen bei sich aufnahm.
    Tabra und ich kannten uns schon seit einigen Jahren, sie war die erste Person, mit der ich mich angefreundet hatte, als ich nach Kalifornien kam. Als sie einmal beim Friseur ihr Haar in diesem Aubergineton färben ließ, den sie damals trug, hatte die Friseurin ihr von einer neuen Kundin erzählt, die eine Woche zuvor genau denselben Farbton verlangt habe, was in ihrem langen Berufsleben noch nie vorgekommen sei. Die Frau sei Chilenin und schreibe Bücher, meinte sie noch, und sie nannte meinen Namen. Tabra hatte Das Geisterhaus gelesen und bat darum, daß man ihr Bescheid gab, wenn ich das nächste Mal käme, weil sie mich gern kennenlernen wollte. Dieses nächste Mal ließ nicht lange auf sich warten, war ich die Farbe doch schneller leid alsgedacht; ich sah damit aus wie ein naßgewordener Clown. Tabra hatte mein Buch mitgebracht, damit ich es ihr signierte, und überrascht sah sie, daß ich Ohrringe aus ihrer Werkstatt trug. Wir waren wie füreinander gemacht, sagte die Friseurin zu Recht.
    Diese Frau mit ihren weiten Zigeunerinnenröcken, den Armen, die vom Handgelenk bis zum Ellbogen von Silberreifen bedeckt sind, und dem Haar in einer unmöglichen Farbe diente mir als Vorbild für die Figur der Tamar in Der unendliche Plan . Ich schuf Tamar aus Carmen, einer Freundin Willies aus Sandkastentagen, und aus Tabra, der ich die Persönlichkeit und einen Teil der Biographie stibitzte. Da Tabra die moralische Rechtschaffenheit ihres Vaters geerbt hat, läßt sie keine Gelegenheit aus, zu betonen, daß sie nie mit Willie im Bett gewesen ist, eine Klarstellung, die jedem, der mein Buch nicht gelesen hat, Rätsel aufgibt. Sie wohnte damals in einem einstöckigen Holzhaus mit hohen Decken und großen Panoramafenstern, einem Museum für ausgefallene Sammlerstücke aus allen Winkeln der Welt, jedes mit einer sehr eigenen Geschichte ausgestattet: als Penisetui zu benutzende Kalebassen aus Neuguinea, Zottelmasken aus Indonesien, wilde Skulpturen aus Afrika, Traumzeichnungen der australischen Aborigines … Das Grundstück, dreißig Hektar Wildnis, teilte sie mit Rehen, Waschbären, Füchsen und sämtlichen in Kalifornien heimischen Vogelarten. Stille, Feuchtigkeit, der Duft nach Holz – ein Paradies, das sie allein ihrer Tüchtigkeit und ihrem Talent verdankte.
    Tabra wuchs im Süden des Landes unter fanatischen Christen auf. Die Gemeinde Christi vertrat den einzigen und wahrhaftigen Glauben. Die Methodisten taten und ließen, was sie wollten, die Baptisten hatten ein Klavier im Gotteshaus und waren damit auf ewig verdammt, die Katholiken zählten nicht – bloß Mexikaner waren katholisch, und daß die eine Seele besaßen, war nicht erwiesen –, und über die anderen mußte man kein Wort verlieren, weil ihreRiten ja, wie hinlänglich bekannt, satanistisch waren. In der Gemeinde Christi waren Alkohol, Tanz und Musik verboten, das Schwimmen mit Wesen des anderen Geschlechts, und Tabak und Kaffee wohl ebenfalls, das weiß ich nicht mehr genau. Tabra besuchte das Abilene Christian College, an dem ihr Vater unterrichtete, ein sanfter und weltoffener Mann, der die jüdische und afroamerikanische Literatur liebte und sich nach Kräften gegen die Denkverbote der Schulleitung stemmte. Er wußte, wie rebellisch seine Tochter war, hätte aber doch nicht erwartet, daß sie als Siebzehnjährige mit einem heimlichen Freund durchbrennen würde, einem Schüler aus Samoa, dem einzigen, der schwarze Haare und Augen und dunkle Haut hatte an dieser reinweißen Anstalt. Damals war der Junge aus Samoa noch schlank und hübsch, jedenfalls in Tabras Augen, und daß er intelligent war, stand außer Frage, hatte er doch als erster Bewohner der Insel ein Stipendium erhalten.
    Das Pärchen floh eines Nachts in eine andere Stadt, wo der Friedensrichter sich weigerte, die

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