Das Siegel der Tage
beiden zu trauen, weil Ehen zwischen Weißen und Schwarzen verboten waren, aber Tabra argumentierte, Polynesier seien keine Schwarzen, und sie sei außerdem schwanger. Also willigte der Richter zähneknirschend ein. Von Samoa hatte er noch nie gehört, das unglückliche Mischblut im Bauch des Mädchens schien ihm aber ein gewichtiger Grund, diese kopflose Verbindung zu legitimieren. »Ihre Eltern tun mir leid, Kindchen«, sagte er, anstatt ihnen den Segen zu geben. Noch in derselben Nacht zog der frischgebackene Gatte seinen Gürtel aus und drosch damit auf Tabra ein, bis sie blutete, weil sie vor der Ehe mit einem Mann geschlafen hatte. Die unbestreitbare Tatsache, daß er dieser Mann gewesen war, änderte nichts daran, daß sie in seinen Augen eine Hure war. Das war die erste von ungezählten Mißhandlungen und Vergewaltigungen, die sie nach Maßgabe der Gemeinde Christi erdulden mußte, weil Gott eine Scheidung nicht gutheißt und diesihre Strafe dafür war, einen Mann einer anderen Hautfarbe geheiratet zu haben, ein von der Bibel als unsittlich geächtetes Verhalten.
Sie hatten einen bildhübschen Sohn, den sie Tongi nannten, was in der Sprache Samoas »Klage« bedeutet, und der Ehemann brachte seine kleine, zu Tode verängstigte Familie in sein Dorf auf der Insel. Das tropische Eiland, auf dem die Amerikaner eine Militärbasis und eine Missionsstation betrieben, nahm Tabra freundlich auf. Sie war die einzige Weiße im Familienclan ihres Mannes, und das verhalf ihr zwar zu gewissen Privilegien, bewahrte sie jedoch nicht vor der täglichen Prügel. Die neue Verwandtschaft bestand aus etwa zwanzig speckigen und dunkelhäutigen Kolossen, die einhellig Tabras bleiche, unterernährte Erscheinung beklagten. Von den meisten und vor allem von ihrem Schwiegervater wurde sie liebevoll umsorgt, und beim gemeinschaftlichen Abendessen reservierte man die besten Happen für sie: Fischköpfe mit Augen, Spiegeleier mit angebrüteten Küken und einen köstlichen Pudding, für dessen Zubereitung Beeren zerkaut, der Brei in eine Holzschüssel gespuckt und dann in der Sonne fermentiert wurde. Den Frauen gelang es zuweilen, sich den kleinen Tongi zu schnappen und ihn vor dem tobenden Vater in Sicherheit zu bringen, aber für seine Mutter konnten sie nichts tun.
Tabra gewöhnte sich nie an die Angst. Es gab keine Regeln für ihre Marter, durch nichts, was sie tat oder unterließ, konnte sie ihr entgehen. Als ihr Mann schließlich nach einem besonders hemmungslosen Prügelanfall für einige Tage hinter Gittern landete, nutzten die Missionare die Gunst der Stunde und halfen Tabra, zusammen mit ihrem Sohn zurück nach Texas zu fliehen. Die Gemeinde Christi wies sie ab, sie konnte keine anständige Arbeit finden, und außer ihrem Vater half ihr kein Mensch. Die Scheidung war ein Schlußstrich, und in den nächsten fünfzehn Jahren sah Tabra ihren Peiniger nicht wieder. Dann, nach vielen JahrenTherapie, hatte sie die Angst vor ihm verloren. Der Mann war in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt und ein Prediger der Evangelikalen geworden, eine wahre Geißel der Sünder und Ungläubigen, wagte es indes nie mehr, ihr zu nahe zu kommen.
In den sechziger Jahren konnte Tabra die Scham über den Vietnamkrieg nicht ertragen, machte sich mit ihrem Sohn auf den Weg in verschiedene Länder und schlug sich mit Englischunterricht durch. In Barcelona besuchte sie eine Schule für Schmuckgestaltung, und abends schlenderte sie über die Ramblas und beobachtete die Roma, die ihren Stil für immer beeinflussen sollten. In Mexiko fand sie Anstellung in einer Goldschmiedewerkstatt, und es dauerte nicht lang, da fertigte sie Schmuck nach ihren eigenen Entwürfen. Dies und nichts anderes sollte für den Rest ihres Lebens ihr Beruf sein. Nach der Niederlage der Amerikaner in Vietnam kehrte sie in ihr Land zurück, und die Hippiewelle überraschte sie in den bunten Straßen von Berkeley, wo sie zusammen mit anderen Hungerkünstlern Ohrringe, Ketten und Armreife aus Silber verkaufte. Damals schlief sie in ihrem klapprigen Auto und benutzte die Waschräume der Universität, aber ihr Talent hob sie von den anderen Kunsthandwerkern ab, und bald konnte sie die Straße verlassen, eine Werkstatt mieten und ihre ersten Helfer einstellen. Einige Jahre später, als ich sie kennenlernte, führte sie ein modellhaftes Unternehmen, glich ihre Werkstatt einer wahren Alibabahöhle, die mit Edelsteinen und Kunstgegenständen vollgestopft war. Über hundert Leute arbeiteten
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