Das Siegel der Tage
die Tür streichen, und er antwortete mit einem »Ja, Schatz«, als wäre das eine Zumutung. Irgendwann ging ihm die Verdünnung aus, und er verkündete, er müsse erst eine Stunde meditieren und einen Joint rauchen, um in Kontakt mit seinem inneren Selbst zu treten. Mittlerweile hatte Tabra von dem schwarzen Wuschelkopf die Nase gestrichen voll und sagte, sie gebe ihm eine Stunde, um das innere Selbst der Wohnung zu streichen und dann Land zu gewinnen. Er war nicht mehr da, als ich mit meinem Koffer ankam.
Am ersten Abend aßen wir Fischsuppe, das einzige, was meine Freundin neben Haferflocken mit Milch und Bananenstücken zuzubereiten versteht, und stiegen danach in ihren Whirlpool, einen glitschigen Holzbottich unter den Bäumen, der einen besorgniserregenden Geruch verströmte, weil ein unglückliches Skunk hineingefallen war und auf niedriger Flamme eine Woche vor sich hin geköchelt hatte, ehe sie es fand. Dort lud ich meine Enttäuschung und meinen Ärger ab wie einen Sack mit Steinen.
»Willst du wissen, was ich darüber denke?« sagte Tabra. »Sabrina wird dich nicht trösten, die Trauer braucht Zeit. Du bist sehr niedergeschlagen und hast der Kleinen nichts zu bieten.«
»Ich habe ihr jedenfalls mehr zu bieten als ein Heim für kranke Kinder.«
»Du müßtest es allein durchstehen, auf Willie kannst dunicht zählen. Mir ist schleierhaft, wie du dich um deinen Sohn und deine Enkel kümmern willst, dabei weiter schreiben und außerdem ein Mädchen großziehen, das zwei Mütter bräuchte.«
Der mächtige Kreis der Hexen
Ein strahlender Samstagmorgen brach an. In Tabras Wald war der Frühling schon sommerlich warm, aber ich wollte nicht wie sonst am Wochenende mit ihr wandern gehen. Statt dessen rief ich die fünf Frauen an, die mit mir den Kreis der Schwestern vom immerwährenden Durcheinander bilden. Ehe ich zu dieser Gruppe stieß, hatten die Frauen sich schon seit Jahren getroffen, sich über ihr Leben ausgetauscht, zusammen meditiert und für Menschen gebetet, die krank oder in Not waren. Seit ich dabei bin, tauschen wir auch Schminksachen aus, trinken Champagner, schlagen uns den Bauch mit Konfekt voll und besuchen ab und an die Oper, denn spirituelle Übung ohne jedes Drumherum deprimiert mich ein bißchen. Ich hatte die fünf im Jahr zuvor kennengelernt, an dem Tag, als die Ärzte in Kalifornien mir bestätigten, was schon die Ärzte in Spanien gesagt hatten. Dein Fall sei hoffnungslos, Paula, man könne nichts für dich tun, du würdest nie wieder gesund werden. Ich fuhr heulend mit dem Auto davon und landete schließlich irgendwie in der Book Passage, meiner Lieblingsbuchhandlung, in der ich oft Interviews gebe und man mir sogar ein Postfach eingerichtet hat. Dort kam herzlich lächelnd eine Japanerin auf mich zu, die genauso klein war wie ich, und lud mich zu einer Tasse Tee ein. Es war Jean Shinoda Bolen, Psychiaterin und Autorin etlicher Bücher. Ihr Name sagte mir sofort etwas, weil ich eben erst ihr Buch über die Göttinnen gelesen hatte, die in jeder Frau zu Hause sind, und wie diese Archetypen die Persönlichkeit beeinflussen. Dadurch war mir klargeworden, daß in mir ein Kuddelmuddel an verschiedenen, widerstreitenden Gottheiten zu Hause ist, das man sich besser nicht so genau ansieht. Ohne daß wir uns je zuvor begegnet wären, erzählte ich derFrau, wie es um dich stand. »Wir werden für deine Tochter und für dich beten«, sagte sie. Einen Monat später lud sie mich zu ihrem »Gebetskreis« ein, und so kam es, daß diese neuen Freundinnen mir während deines Sterbens und nach deinem Tod und bis heute zur Seite standen. Für mich ist dieser Bund im Himmel geschlossen worden. Alle Frauen auf der Welt sollten einen solchen Kreis von Freundinnen haben. Jede von uns ist Zeugin des Lebens der anderen, wir verwahren unsere Geheimnisse, helfen einander über Schwierigkeiten hinweg, teilen unsere Erfahrungen und stehen über E-Mail in fast täglichem Kontakt miteinander. Wie weit ich auch verreisen mag, meine Verbindung zum Festland bleibt bestehen: meine Schwestern vom Durcheinander. Sie sind heiter, weise und neugierig. Zuweilen nimmt diese Neugier verwegene Züge an, wie damals, als Jean während einer spirituellen Zeremonie das unbändige Verlangen verspürte, ihre Schuhe auszuziehen, und barfuß über glühende Kohlen lief. Zweimal ging sie über das Feuer und blieb unversehrt. Sie sagte, ihr sei es vorgekommen, als liefe sie über kleine Plastikkügelchen, sie habe die Glut knirschen
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