Das Siegel der Tage
das Sorgerecht für ihre Tochter zwar verloren, ihre Meinung sei aber trotzdem zu hören. »Tut mir leid, aber ich habe nicht die Zeit, mich mit etwas zu befassen, fürdas bereits eine Lösung gefunden ist«, sagte sie. Die Liste der Hindernisse war noch länger, ich erinnere mich nicht mehr im Detail, nur daß Pauline, als das Gespräch schon fast beendet war und wir eben, geschlagen, den Raum verlassen wollten, Rebecca fest am Arm nahm.
»Sie haben eine sehr schwere Aufgabe, werden schlecht bezahlt und haben das Gefühl, daß Ihre Arbeit für die Katz ist, weil Sie in den Jahren, in denen Sie jetzt hier angestellt sind, für die unglücklichen Kinder, die durch dieses Büro geschleust wurden, kaum etwas tun konnten«, sagte Pauline und versuchte, auf den Grund der Seele dieser Frau zu blicken. »Aber, glauben Sie mir, Rebecca, für Sabrina können Sie etwas tun. Vielleicht bekommen Sie nie wieder eine solche Chance, ein Wunder zu bewirken.«
Am nächsten Tag gelang es Rebecca irgendwie, die Bürokratie auf den Kopf zu stellen, sie forderte die Unterlagen noch einmal an, änderte das Notwendige und überzeugte den Richter, erneut zu unterschreiben, schickte die Papiere ins benachbarte County und sorgte dafür, daß Fu und Grace im Handumdrehen die Berechtigung zur Adoption bekamen. Dieselbe Frau, die noch am Tag zuvor leicht genervt auf unser Drängen reagiert hatte, verwandelte sich in einen glücklichen Wirbelwind, der alle Hindernisse hinwegfegte, und wendete mit einem Strich ihrer magischen Feder Sabrinas Schicksal zum Guten.
»Ich habe es Ihnen gleich gesagt, dieses Mädchen ist eine alte und machtvolle Seele. Sie berührt die Menschen und verändert sie. Ihr Geist ist stark, und sie weiß, was sie will«, sagte Odilia, als sie Sabrina zwei Wochen später ihren neuen Müttern übergab.
So fand auch in völlig unverhoffter Weise der monumentale Streit zwischen Willie und mir ein Ende. Wir verziehen einander, er mir die dramatischen Anschuldigungen, ich ihm das zähe Schweigen, und wir konnten uns in den Arm nehmen und vor Freude darüber weinen, daß dieses Enkelkindein Nest gefunden hatte. Fu und Grace hatten das Mäuschen mit den wissenden Augen mittlerweile zu sich geholt, und der Kreis meiner Freundinnen setzte die mächtige Maschinerie der guten Wünsche in Gang, um der Kleinen das Leben zu erleichtern. Auf jedem Hausaltar stand ein Foto von ihr, und es verging kein Tag, ohne daß jemand sie in Gedanken stützte. Als eine der Schwestern vom Durcheinander in eine andere Stadt zog, boten wir Grace an, ihren Platz einzunehmen, nachdem wir uns versichert hatten, daß sie ausreichend Humor besaß. Im Zentrum für Zen-Buddhismus gab es mindestens fünfzig Personen, die Wünsche für Sabrina in ihre Meditationen aufnahmen und sich darin abwechselten, die Kleine im Arm zu wiegen, während ihre beiden Mütter gegen die immer neu auftretenden Gesundheitsprobleme anfochten. In den ersten Monaten dauerte es fünf Stunden, dem Kind ein paar Tröpfchen Milch mit einer Pipette einzuflößen. Fu lernte, die Anzeichen jeder Verschlechterung wahrzunehmen, ehe sie akut wurde, und Grace war als Ärztin besser gewappnet als irgendwer sonst.
»Sind diese Frauen lesbisch?« wollte meine Schwiegertochter wissen, die mich mehr als einmal gewarnt hatte, daß sie es nicht unter einem Dach mit jemandem aushalten könne, dessen sexuelle Vorlieben nicht den ihren entsprächen.
»Natürlich, Celia.«
»Aber eine ist doch Nonne!«
»Buddhistische Nonne. Sie hat kein Keuschheitsgelübde abgelegt.«
Celia sagte nichts mehr, als sie Fu und Grace aber schließlich kennenlernte, war sie beeindruckt genug, ihre eigenen Ideen auf den Prüfstand zu stellen. Der Religion hatte sie schon seit langem den Rücken gekehrt, und die Feuer der Hölle fürchtete sie nicht mehr, aber Homosexualität war ihr der schlimmste Dorn im Auge geblieben. Irgendwann jedoch rief sie die beiden an und bat sie, ihr dieKränkungen der ersten Zeit zu verzeihen, und danach besuchte sie die beiden häufig mit den Kindern, zeigte ihnen die grundlegenden Handgriffe, die eine Mutter können sollte, und spielte ihnen auf der Gitarre Lieder aus Venezuela vor. Sehr auf den Schutz der Umwelt bedacht, hatten die frischgebackenen Mütter Sabrina mit Stoffwindeln großziehen wollen, aber es dauerte keine Woche, da wechselten sie zu den Wegwerfwindeln, die Celia ihnen geschenkt hatte. Man hätte auch verrückt sein müssen, um wie früher Windeln von Hand auszuwaschen. Im
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