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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Heilige waren, und holte ihn später zu sich nach Kalifornien. Als der Junge drei Jahre alt war, landete er wieder bei seinem Vater, weil man in dem Mietshaus, in dem die Mutter wohnte, offenbar keine Kinder duldete. Das muß man sich vorstellen! Nach ihrer Heirat mit Willie sorgte die Mutter dafür, daß Jason wieder zu ihr kam, und nachdem die beiden sich hatten scheiden lassen, nahm der Kleine seine Siebensachen und zog zu Willie. In all den Jahren ließ sein leiblicher Vater sich sporadisch blicken, und mehr als einmal schlug er den Jungen, bis der alt genug und körperlich in der Lage war, sich zu wehren. Eines Abends, die beiden waren für ein paar Tage zusammen zur Hütte des Vaters in die Berge gefahren, kam es zum Streit, der Mann hatte getrunken und schlug mit der Faust nach Jason, der sich geschworen hatte, sich nichts mehr bieten zu lassen, und ihm in seiner Angst und dem über die Jahre angestauten Zorn das Gesicht blutig hieb. Völlig außer sich setzte er sich danach ins Auto und fuhr durch die stürmische Nacht zurück nach Hause, wo er etliche Stunden später, von Schuldgefühlen geplagt und mit blutverschmiertem Hemd, vor der Tür stand. Willie beglückwünschte ihn: Es sei höchste Zeit gewesen, einiges klarzustellen. Dieser unwürdige Zwischenfall sorgte für einen respektvollen Umgang zwischen Vater und Sohn, und die Gewaltausbrüche hatten ein Ende.
    Dieses Jahr der Trauer, der vielen Arbeit, der finanziellen Schwierigkeiten und der Probleme mit meinen Stiefkindern nagte an den Grundfesten meiner Beziehung zu Willie. In unserem Leben herrschte zu viel Unordnung. Es gelang mir nicht, mich in den USA einzuleben. Mir war, als würde mein Herz erkalten, als lohnte es nicht, weiter gegen dieStrömung zu rudern; uns über Wasser zu halten kostete unmäßig viel Kraft. Ich dachte daran, zu gehen, zu fliehen, Nico und seine Familie mit nach Chile zu nehmen, wo endlich, nach sechzehn Jahren Militärdiktatur, die Demokratie erneut aufgebaut wurde und wo meine Eltern lebten. ›Mich scheiden lassen, ich sollte mich scheiden lassen‹, dachte ich bei mir, aber ich muß es mehr als einmal laut ausgesprochen haben, denn bei dem Wort Scheidung schellten Willies Alarmglocken. Zwei Scheidungen hatte er bereits hinter sich, und er war entschlossen, eine dritte zu verhindern; also drängte er mich dazu, daß wir einen Psychologen aufsuchten. Über Tabras Therapeuten hatte ich mich erbarmungslos lustig gemacht, er war ein zerzauster Alkoholiker, der ihr dieselben Binsenweisheiten bot, die sie von mir hätte umsonst bekommen können. Für mich waren Therapien ein Tick der Nordamerikaner, verhätschelter Leute, die sich mit den normalen Schwierigkeiten des Daseins nicht abfinden konnten. In meinen Kindertagen hatte mein Großvater mir mit seiner stoischen Haltung vermittelt, das Leben sei hart und gegenüber Widrigkeiten helfe nichts, als die Zähne zusammenzubeißen und weiterzumachen. Glück war ein sentimentales Hirngespinst; man war auf der Welt, um zu leiden und zu lernen. Der Hedonismus von Venezuela hatte die mittelalterlichen Vorstellungen meines Großvaters zum Glück etwas gemildert und mir ermöglicht, es mir ohne Schuldgefühle gutgehen zu lassen. In Chile, in meiner Jugendzeit, war kein Mensch zur Therapie gegangen, es sei denn, er war gemeingefährlich oder stammte aus Argentinien, deshalb sträubte ich mich ziemlich gegen Willies Vorschlag, aber er blieb stur, bis ich ihn schließlich begleitete. Besser gesagt, schleifte Willie mich hin.
    Wie sich herausstellte, sah der Psychologe aus wie ein Mönch, hatte einen rasierten Schädel, trank grünen Tee und hielt während der Sitzung fast durchweg die Augen geschlossen. Im Marin County sieht man zu jederTageszeit Leute auf Fahrrädern, Jogger in kurzen Hosen oder Cappuccinotrinker an kleinen Tischen vor den Cafés. »Arbeiten diese Leute nicht?« hatte ich Willie einmal gefragt. »Das sind alles Therapeuten«, war seine Antwort gewesen. Vielleicht rührte daher meine tiefe Skepsis gegenüber dem Kahlkopf, doch entpuppte der sich bald schon als weise. Er empfing uns in einem kargen, erbsengrün gestrichenen Raum, den nur ein Tuch – Mandala nennt man das wohl – an der Wand zierte. Wir ließen uns im Schneidersitz auf ein paar Kissen am Boden nieder, und wie ein Vögelchen nippte der Mönch an seinem japanischen Tee. Dann begannen wir zu reden, und fast sofort kam die Lawine ins Rollen. Willie und ich fielen einander ins Wort, um ihm von dir zu berichten,

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