Das Siegel der Tage
jeden einzelnen davon beantworten, und sei es auch nur mit ein paar auf eine Karte gekritzelten Zeilen, denn alle kamen von Herzen und waren in blindem Vertrauen abgeschickt worden, erreichten mich zum Teil über meine Verleger, über meine Agentin, häufig über Bekannte oder über Buchhandlungen. Ich verbrachte halbe Nächte damit, Karten aus japanischem Seidenpapier zu basteln, das Miki Shima mir schenkte, und sie mit kleinen Verzierungen aus Silber und Halbedelsteinen aus Tabras Werkstatt zu versehen. Die Briefe waren so berührend, daß Jahre später, als das Buch in viele Sprachen übersetzt worden war, einige europäische Verlage eine Auswahl daraus veröffentlichten. Manche kamen von Eltern, die ein Kind verloren hatten, die meistenaber von jungen Leuten, die sich mit dir identifizierten, und es gab sogar junge Frauen, die darum baten, Ernesto kennenlernen zu dürfen, weil sie sich in den Witwer verliebt hatten, ohne ihm je begegnet zu sein. Groß, breitschultrig, dunkelhaarig und tragisch – er kam gut an bei den Frauen. An Trösterinnen wird es ihm nicht gemangelt haben: Er ist kein Heiliger und Enthaltsamkeit nie seine Stärke gewesen, wie er mir selbst gesagt hat und du von jeher wußtest. Zwar behauptet er, er wäre, hätte er sich nicht in dich verliebt, in ein Priesterseminar eingetreten, aber das nehme ich ihm nicht ab. Er braucht eine Frau an seiner Seite.
Weil ich mit den Briefen alle Hände voll zu tun hatte, blieb mir keine Zeit für das eigene Schreiben, und selbst der Austausch mit meiner Mutter ebbte ab. Statt der täglichen Briefe, die uns über die Jahrzehnte zusammengehalten hatten, redeten wir am Telefon miteinander oder schickten kurze Faxe, in denen wir alles Vertrauliche aussparten, weil sie vor der Neugier Außenstehender nicht sicher waren. Unsere Korrespondenz aus jener Zeit ist zum Gähnen. Kein Vergleich zu unseren Briefen mit ihrem Schneckentempo und ihrer Intimität, kein Vergleich zu der Freude, auf den Briefträger zu warten, den Umschlag zu öffnen, die von meiner Mutter gefalteten Seiten herauszuziehen und ihre Nachrichten mit zwei Wochen Verspätung zu lesen. Waren sie schlecht, spielte es schon keine Rolle mehr, und wenn sie gut waren, gaben sie noch immer Anlaß zur Freude.
Unter den Briefen meiner Leser war der einer jungen Krankenschwester, die dich auf der Intensivstation im Madrider Krankenhaus betreut hatte. Es war Celia, die ihn als erste öffnete und las. Sie brachte ihn mir, bleich im Gesicht, und zusammen lasen wir ihn noch einmal. Die Frau schrieb, nachdem sie das Buch gelesen habe, fühle sie sich verpflichtet, mir zu schildern, was tatsächlich geschehen sei. Die Schludrigkeit der Ärzte und ein Stromausfall, der dein Sauerstoffgerät betroffen habe, hätten dein Gehirnunwiderruflich geschädigt. Viele Personen im Krankenhaus hätten davon gewußt, jedoch versucht, es zu vertuschen, vielleicht in der Hoffnung, du werdest sterben, ehe es zu Nachforschungen käme. Über Monate hätten die Schwestern mich von früh bis spät im Korridor der verlorenen Schritte warten sehen und mir mehr als einmal die Wahrheit sagen wollen, dann aber die Konsequenzen gescheut. Nach dem Brief war mir tagelang übel. »Denk nicht daran, Isabel, es ist ja doch nicht mehr zu ändern. Es war Paula so bestimmt. Jetzt ist ihr Geist frei und muß den Kummer nicht erleiden, den das Leben stets bereithält«, schrieb meine Mutter, als ich ihr davon berichtete. ›Nach der Logik wären wir alle besser tot‹, dachte ich.
Dieses Buch der Erinnerung an dich weckte mehr Interesse beim Publikum und der Presse als all meine vorherigen Bücher zusammen. Ich unternahm viele Reisen, gab Hunderte Interviews, hielt Dutzende Vorträge, signierte Tausende Bücher. Eine Frau bat mich, Widmungen in neun Bücher zu schreiben, eine für jede ihrer Bekannten, die ein Kind verloren hatten, und eine für sie selbst. Ihre Tochter war nach einem Autounfall vom Hals abwärts gelähmt gewesen, und kaum daß sie mit dem Rollstuhl zurechtkam, stürzte sie sich in den Pool. Kummer über Kummer. Verglichen damit war meiner zu ertragen, denn wenigstens hatte ich dich pflegen können bis zum Schluß.
Four Minutes Of Fame
Die Verfilmung meines ersten Romans, Das Geisterhaus , wurde in den verheißungsvollsten Tönen angekündigt, weil etliche der großen Stars von damals mitspielten: Meryl Streep, Jeremy Irons, Glenn Close, Vanessa Redgrave, Winona Ryder und mein Liebling Antonio Banderas. Heute, ein paar Jahre
Weitere Kostenlose Bücher