Das Siegel der Tage
und schließlich hielten wir einen Familienrat ab und nötigten sie, einen Spezialisten aufzusuchen, der ihr eine Therapie und Antidepressiva verordnete. »Ich glaube weder an das eine noch an das andere«, sagte sie, aber die Behandlung half ihr, und bald griff sie wieder zur Gitarre und brachte uns mit ihren Einfällen zum Lachen und zum Haareraufen.
Auch wenn Celia immer wieder unerklärlich von Schwermut befallen wurde, blühte sie doch durch die Mutterschaft auf. Die Kinder sorgten für Trubel im Haus, und Großmutter Hilda erinnerte uns täglich daran, daß wir sie genießen sollten, weil sie viel zu schnell groß werden und fortgehen. Die drei Kleinen halfen Celia mehr als alle Medikamente in dieser Zeit. Alejandro, der eher schüchtern, aber ein helles Köpfchen war, brabbelte neunmalkluge Sätze im selben heiseren Tonfall wie seine Mutter. Als wir an Ostern mit dem Korb hinaus in den Garten gehen wollten, um zwischen den Büschen nach bunten Eiern zu suchen, flüsterte er mir ins Ohr, daß Hasen keine Eier legen, weil sie Säugetiere sind. »Ach ja? Und woher kommen dann die Ostereier?« fragte ich ihn selten dämlich, worauf er antwortete: »Von dir.« Nicole, die Jüngste, mußte sich ihrer Geschwister erwehren, kaum daß sie laufen gelernt hatte. Einmal hatte ich die schlechte Idee, Alejandro zum Geburtstag ein Set Ninja-Schwerter aus Plastik zu schenken, weil er mich auf Knien und mit einem Klimpern seiner Giraffenwimpern darum angefleht hatte. Erst mußte ich eine Sondergenehmigung bei seinen Eltern einholen – Waffen und Fernsehen waren in zeitgemäßen kalifornischen Kinderzimmern tabu –, weil man die Kleinen ja nicht in einer Seifenblase großziehen kann: Besser man härtet sie frühzeitig ab, dann sind sie später immun. Danach schärfte ich meinem Enkel ein, daß er seine Schwestern nicht angreifen durfte, aber ebensogut hätte ich ihm einen Lutscher in die Hand drücken und dazusagen können, er dürfe ihn nicht in den Mund stecken. Es dauerte keine fünf Minuten, da hatte er Andrea einen Stich mit dem Messer versetzt, den sie ihm umgehend heimzahlte, und dann wandten sich beide Nicole zu. Im nächsten Moment sahen wir, wie Alejandro und Andrea kreischend das Weite suchten, gefolgt von Nicole mit einem Dolch in jeder Hand und heulend wie ein Film-Apache. Sie trug noch Windeln. Andrea war die malerischste der drei, ganz in rosa, dazu limettengrüne Flipflops und ihre goldenen Löckchen, die unter allerlei Kopfschmuck hervorschauten – Plastikdiademen, Geschenkband, Papierblumen. Sie lebte in ihrer Phantasiewelt. Außerdem besaß sie die Rosa Macht, einen magischen Ring mit einem rosafarbenen Stein, den Tabra ihr geschenkt hatte und der in der Lage war, Brokkoli in Erdbeereis zu verwandeln und dem Jungen, der sich in der großen Pause über sie lustig gemacht hatte, aus der Ferne einen Tritt in den Hintern zu geben. Einmal hatte die Lehrerin sie ausgeschimpft, da hatte Andrea sich vor sie hingestellt und mit dem mächtigen Ring an ihrem Finger auf sie gezielt: »Wage nicht, so mit mir zu reden! Ich bin Andrea!« Ein andermal kam sie völlig aufgelöst aus der Schule und drückte sich an mich.
»Das war so ein schrecklicher Tag«, schluchzte sie.
»Hatte der Tag denn keinen einzigen schönen Augenblick, Andrea?«
»Doch. Ein Mädchen ist hingefallen und hat sich die Zähne ausgeschlagen.«
»Aber, du lieber Himmel, was ist daran denn schön!«
»Daß ich es nicht war.«
Botschaften
In Spanien erschien Paula mit einem Foto von dir auf dem Umschlag, das Willie gemacht hatte, und darauf strahlst du und bist voller Leben, und dein schwarzes Haar umfließt dich wie eine Decke. Schon wenig später quollen in meinem Büro die Schubladen von Briefen über; Celia kam mit dem Ordnen und Beantworten nicht nach. Über die Jahre hatte ich immer wieder Zuschriften zumeist begeisterter Leser bekommen, wenn ich auch zugeben muß, daß nicht aus allen Schreiben einzig Wohlwollen gegenüber meinen Büchern sprach; manche waren Bittbriefe, etwa der eines Autors von sechzehn unveröffentlichten Romanen, der sich mir ritterlich als Geschäftspartner andiente und fünfzig Prozent der Tantiemen in Aussicht stellte, oder der Brief dieser beiden Chilenen in Schweden, die Tickets für ihre Heimreise von mir erbaten, weil sie von meinem Onkel Salvador Allende ins Exil getrieben worden waren. Aber das alles war kein Vergleich zu der Lawine aus Briefen, die nach dem Erscheinen von Paula über uns kam. Ich wollte
Weitere Kostenlose Bücher