Das Siegel der Tage
spielt, bestimmt Liebesbeziehungen zwischen Frauen gegeben, die aber aufgrund der gesellschaftlichen und religiösen Zwänge nie ausgelebt wurden.
Jeremy Irons war im richtigen Leben nicht ganz der unterkühlte englische Aristokrat, den wir von der Leinwand her kennen; er wäre gut als freundlicher Taxifahrer in einem Vorort von London durchgegangen: Er besaß einen ausgeprägt schwarzen Humor, nikotingelbe Finger und einen unerschöpflichen Fundus verrückter Geschichten, die er gern zum besten gab, etwa die, wie er einmal in der U-Bahn seinen Hund verloren hatte und sich die Wege von Hund und Herrchen einen ganzen Vormittag immer wieder kreuzten, weil beide aus dem Zug sprangen, sobald sie an irgendeiner Station den anderen erblickten. Ich weiß nicht, weshalb man ihm für den Film etwas in den Mund steckte wie einem Pferd, jedenfalls sind sein Gesicht und seine Stimmeein bißchen entstellt. Groß, vornehm, strahlend und mit kobaltblauen Augen trat Vanessa Redgrave auf und machte selbst ungeschminkt und mit einem Babuschka-Kopftuch einen umwerfenden Eindruck. Winona Ryder lernte ich erst später kennen; sie hatte etwas von einem hübschem Jungen, die Haare kurz, von ihrer Mutter geschnitten, und ich fand sie hinreißend, auch wenn sie beim Technikteam im Ruf stand, verwöhnt und launisch zu sein. Anscheinend hat das ihrer Karriere geschadet, die sich glänzend anließ. Antonio Banderas war ich zuvor schon ein paarmal begegnet, und ich war schüchtern und kindisch in ihn verschossen wie ein Teenager in einen Filmstar, obwohl er mit ein bißchen gutem Willen mein Sohn hätte sein können. Vor dem Haupteingang des Hotels wartete immer eine Traube halb erfrorener Autogrammjäger mit den Füßen im Schnee auf die Stars, die jedoch den Personaleingang benutzten, so daß die Fans sich mit meiner Unterschrift begnügen mußten. »Wer ist das?« hörte ich jemanden, der mit dem Finger auf mich zeigte, auf englisch fragen. »Bist du blind? Das ist Meryl Streep«, bekam er zur Antwort.
Als wir uns eben daran gewöhnt hatten, wie die Royals zu leben, waren die Ferien zu Ende, wir fuhren heim und versanken umgehend in völliger Anonymität: Wenn wir bei einem unserer berühmten »Freunde« anriefen, wurden wir gebeten, unseren Namen zu buchstabieren. Der Film hatte nicht in Hollywood, sondern, weil es eine deutsche Produktion war, in München Weltpremiere, wo wir uns einer Masse großgewachsener Menschen und gleißenden Blitzlichtern und Scheinwerfern stellen mußten. Alle Leute trugen Schwarz, und ich, farblich angepaßt, verschwand optisch unter der Gürtellinie der Umstehenden. Auf dem einzigen Pressefoto, auf dem ich zu sehen bin, wirke ich wie ein verhuschtes Mäuschen, schwarz auf schwarzem Grund, mit Willies amputierter Hand auf der Schulter.
Zehn Jahre nach dem Film Das Geisterhaus ereignete sich etwas, wovon ich dir nur an dieser Stelle berichten kann, oder ich muß für immer schweigen, denn es hat mit Ruhm zu tun, und der interessiert dich bekanntlich nicht, Tochter. Im Jahr 2006 durfte ich bei den Olympischen Winterspielen in Italien die olympische Flagge tragen. Das dauerte nur vier Minuten, aber die genügten, mich berühmt zu machen: Jetzt erkennen mich die Leute auf der Straße, und endlich bilden sich meine Enkel etwas darauf ein, mich als Großmutter zu haben.
Das kam so: Eines Tages rief mich Nicoletta Pavarotti an, die Frau des berühmten Tenors, die eine entzückende Person und vierunddreißig Jahre jünger als ihr weltberühmter Gatte ist, und teilte mir mit, ich sei eine der acht Frauen, die man dazu auserkoren hatte, bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele die Flagge zu tragen. Ich antwortete ihr, es müsse sich um einen Irrtum handeln, weil ich alles andere als sportlich bin; im Grunde wußte ich nicht, ob ich es ohne Gehhilfe einmal ums Stadion schaffen würde. Sie erklärte mir, es handele sich um eine große Ehre, man habe die Kandidatinnen sorgfältig ausgewählt, ihr Leben, ihre Weltanschauung und ihre Arbeit sehr genau unter die Lupe genommen. Außerdem werde die Flagge zum erstenmal ausschließlich von Frauen getragen, von drei Goldmedaillengewinnerinnen und fünf Vertreterinnen der Kontinente; ich sollte für Lateinamerika dabeisein. Natürlich war meine erste Frage, was ich anziehen sollte. Sie sagte, wir würden einheitlich gekleidet, und sie bat um meine Maße. Voll Entsetzen sah ich mich schon in einem wattierten, scheußlich pastellfarbenen Etwas, fett wie das
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