Das Siegel der Tage
Leben habe ich mich nicht derart gedemütigt gefühlt. Das Ende vom Lied war, daß wir auch die paar Grundbegriffe, die wir vom Tanzen kannten, einmotteten, und seither haben Willie und ich noch ein einziges Mal miteinander getanzt. Ich erzähle dir diese Episode, weil sie wie eine Allegorie unseres Charakters ist: sie veranschaulicht uns vom Scheitel bis zur Sohle.
Celia, Nico und die Kinder richteten sich in ihrem neuen Haus ein, und Celias Bruder zog zu ihnen. Er war ein großgewachsener junger Mann, ziemlich verwöhnt, aber doch angenehm, wußte noch nicht recht, was er wollte, und dachte daran, in den Vereinigten Staaten zu bleiben. Sein Verhältnis zu seiner Familie war wohl auch nicht das beste.
Unterdessen trug mir die Veröffentlichung von Paula unverdiente Preise und Ehrendoktortitel ein, ich wurde zum Mitglied verschiedener Akademien für Sprache ernannt, und man überreichte mir gar symbolisch die Schlüssel einer Stadt. Die Umhänge und Doktorhüte sammelten wir in einer Truhe, und Andrea verkleidete sich damit. Meine Enkeltochter war seit kurzem in der Weltenrettungsphase, eine ihrer Puppen hieß »Rettet den Thunfisch«. Ich hatte zum Glück noch im Ohr, was Carmen Balcells einmal zu mir gesagt hatte: »Ein Preis zeichnet weniger den Prämierten als den Prämierenden aus, also sieh zu, daß er dir nicht zu Kopf steigt.« Aber das war sowieso ausgeschlossen: Meine Enkel sorgten dafür, daß ich auf dem Teppich blieb, und Willie meinte, Lorbeeren, auf denen man sich ausgeruht hat, seien bloß noch für die Suppe gut.
Willie, Tabra und ich reisten zur chilenischen Filmpremiere von Das Geisterhaus nach Santiago de Chile. Damals gab es im Land noch viele, die mit Pinochet sympathisierten und sich nicht schämten, das offen zuzugeben. Heute sind es weniger geworden, denn der General hat unter seinen Anhängern einiges Prestige verloren, als seine Gaunereien, Steuerhinterziehungen und Bestechungen ans Licht kamen. Dieselben, die über Folterungen und Morde hinweggesehen hatten, verziehen ihm die abgezweigten Millionen nicht. Als der Film anlief, lag das Referendum, über das der Diktator gestolpert war, schon fast sechs Jahre zurück, aber vom Militär, der Presse und der Justiz wurde er weiter mit Samthandschuhen angefaßt. Die Rechte besaß die Mehrheit im Kongreß, das Land wurde auf der Grundlage einer Verfassung regiert, die auf Pinochet zurückging, und der genoß als Senator auf Lebenszeit Immunität und zusätzlich den Schutz eines Amnestiegesetzes. Es war eine Demokratie unter Vorbehalt, und man hatte sich politisch und gesellschaftlich darauf verständigt, das Militär nicht zu provozieren. Wenige Jahre später, 1998, wurde Pinochet in England verhaftet, wohin er gereist war, um Provisionen für Waffengeschäfte zu kassieren, sich ärztlich untersuchen zu lassen und mit seiner Freundin, der ehemaligen Premierministerin Margret Thatcher, den Fünfuhrtee zu nehmen. In der Weltpresse wurde er der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt; da fiel das juristische Gebäude, das er zu Hause zum eigenen Schutz errichtet hatte, in sich zusammen, und endlich wagten sich die Chilenen auf die Straße, um sich über ihn lustig zu machen.
Der Film wurde von der extremen Rechten als Ohrfeige empfunden, von den meisten Chilenen jedoch begeistert aufgenommen, vor allem von jungen Leuten, die unter strenger Zensur aufgewachsen waren und mehr über das Chile der siebziger und achtziger Jahre wissen wollten. Ich erinnere mich, daß bei der Premiere ein sehrrechtsgerichteter Senator zornig aufsprang und im Hinausgehen brüllte, der Film sei eine einzige Lüge gegen den Wohltäter des Vaterlandes, unseren General Pinochet. Vor der Presse sollte ich dazu hinterher etwas sagen. »Man weiß ja, daß der gute Mann nicht alle Tassen im Schrank hat«, sagte ich blauäugig ins Mikrofon, weil ich das verschiedentlich so gehört hatte. Zu schade, daß mir der Name des ehrenwerten Herrn entfallen ist. Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten wurde der Film in Chile sehr erfolgreich und gehörte noch zehn Jahre später zu den beliebtesten Filmen im Fernsehen und auf Video.
Tabra, die an den entlegensten Orten der Erde, aber nie zuvor in Santiago de Chile gewesen war, zeigte sich angetan. Ich weiß nicht, was sie erwartet hatte, aber sie fand eine europäisch anmutende Stadt im Schutz einer großartigen Gebirgskulisse, gastfreundliche Menschen und köstliches Essen. Wir bewohnten eine Suite im besten Hotel am Platz, und
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