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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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schüttelte sie, damit sie aufstand und ihm Rührei mit Bohnen zubereitete. »Wasser, Wasser …«, brachte Tabramühsam heraus. »Und wenn meine Mutter im Sterben gelegen hätte, meinem Vater hätte sie Bohnen gekocht«, zischte ihre wütende Echse.
    Trotz der Erfahrungen im Tal des Todes, wo sie um ein Haar ihre versengten Knochen gelassen hätte, lud Tabra ihn nach Sumatra und Neuguinea ein, wohin sie auf der Suche nach Inspiration für ihren Ethnoschmuck und nach einem Schrumpfkopf für ihre Sammlung seltener Objekte reisen wollte. Gefiederte Echse, sehr auf seine körperliche Unversehrtheit bedacht, nahm eine schwere Tasche voller Cremes und Salben mit, von denen er niemandem etwas abgab, und einen dicken Wälzer über sämtliche Krankheiten und Unfälle, die einem Reisenden auf diesem Planeten begegnen können, sei es Beriberi oder der Angriff eines Pythons. In einem Dorf in Neuguinea bekam Tabra Husten; sie war bleich und erschöpft, vielleicht eine Spätfolge ihrer strapaziösen Brustoperation.
    »Faß mich nicht an! Es könnte ansteckend sein. Vielleicht hast du was, das man bekommen kann, wenn man das Hirn der Vorfahren ißt«, sagte Gefiederte Echse, in höchstem Maße alarmiert, nachdem er in seiner Enzyklopädie des Unglücks nachgeschlagen hatte.
    »Welcher Vorfahren?«
    »Irgendwelcher Vorfahren. Es müssen nicht unsere gewesen sein. Die Leute hier essen das Hirn von Toten.«
    »Sie essen nicht das gesamte Gehirn, nur winzige Stückchen zum Zeichen ihrer Hochachtung. Aber ich bezweifle, daß wir so etwas gegessen haben.«
    »Manchmal weiß man nicht, was auf dem Teller ist. Außerdem haben wir Schweinefleisch gegessen, und die Schweine in Bukatingi fressen, was sie kriegen können. Hast du nicht gesehen, wie sie den Friedhof umwühlen?«
    Die Beziehung von Tabra zu Alfredo López Gefiederte Echse war vorübergehend gestört, als er beschloß, zu einer früheren Geliebten zurückzukehren, die ihn davonüberzeugte, nur ein reines Herz könne Moctezumas Krone wiedererlangen, und solange er mit Tabra verkehre, sei das seine beschmutzt. »Wieso ist die denn reiner als du?« wollte ich von meiner Freundin wissen, die ihren Obolus zum Budget der Kronenrettung bereits geleistet hatte. »Keine Bange, der kommt wieder«, sprach Willie ihr Trost zu. Da sei Gott vor, dachte ich, entschlossen, ihr die Erinnerung an diesen Unglücksvogel auszutreiben. Als ich jedoch Tabras traurigen Blick sah, hielt ich lieber meinen Mund. Echse war zurück, sobald ihm klargeworden war, daß die andere, wie rein sie auch sein mochte, nicht bereit war, ihn durchzufüttern. Seine Vorstellung ging zunächst in Richtung einer Ménage-à-trois, doch eine derart mormonenhafte Lösung hätte Tabra niemals akzeptiert.
    Etwa um diese Zeit starb Tabras Ex-Mann, der Prediger aus Samoa, der am Ende hundertfünfzig Kilo wog und unter Bluthochdruck und galoppierender Diabetes litt. Man nahm ihm einen Fuß ab, und ein paar Monate später mußte ihm das Bein oberhalb des Knies amputiert werden. Tabra hat mir selbst erzählt, was sie während ihrer Ehe erdulden mußte; ich weiß, daß sie Jahre brauchte, um sich von dem Trauma zu erholen, das die Gewalttätigkeit dieses Mannes bei ihr hinterlassen hatte, der sie verführte, als sie noch ein Kind war, sie überredete, mit ihm zu fliehen, sie vom ersten Tag an brutal verprügelte, sie über Jahre in ständiger Angst hielt und nach der Scheidung von seinem Sohn nichts mehr wissen wollte. Tabra zog Tongi allein groß, ohne jede Unterstützung durch den Kindsvater. Und doch, als ich sie fragte, ob sie froh sei über seinen Tod, sah sie mich mit großen Augen an: »Warum sollte ich froh sein? Tongi ist traurig, und er hinterläßt noch viele andere Kinder.«

Weggefährte
    Verglichen mit Gefiederter Echse, ist mein Weggefährte Willie wie eine Mutter zu mir: Er behütet mich. Und verglichen mit Tabras Expeditionen ans Ende der Welt waren meine kleinen Arbeitsreisen ein Klacks, aber sie zehrten dennoch an mir. Ständig mußte ich ins Flugzeug steigen, mich der Viren und Bakterien der übrigen Passagiere erwehren, war wochenlang nicht zu Hause, tagelang damit beschäftigt, Reden vorzubereiten. Ich weiß nicht, wie ich Zeit zum Schreiben fand. Ich lernte, ohne Herzflattern vor Publikum zu sprechen, mich auf Flughäfen nicht zu verlaufen, mit dem Inhalt eines kleinen Koffers über die Runden zu kommen, mit einem Pfiff ein Taxi anzuhalten und Menschen zur Begrüßung anzulächeln, auch wenn ich Magenschmerzen

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