Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
kleiner und waren schwieriger zu erzielen. Wenigstens mußte er keine Miete zahlen, da uns das ehemalige Bordell in Sausalito, in dem seine Kanzlei untergebracht war, ja gehörte. Tong, sein Buchhalter, schaffte es mit wundersamen Taschenspielertricks, die Gehälter, Rechnungen, Steuern, Versicherungen und Bankkredite zu bezahlen. Dieser integre Chinese beschützte Willie wie einen geistig minderbemittelten Sohn, wobei seine Sparsamkeit und sein Geiz zeitweise sagenhafte Züge annahmen. Celia schwor Stein und Bein, daßTong abends, wenn wir gegangen waren, die Pappbecher aus dem Müll holte, sie ausspülte und wieder in die Küche stellte. Die Wahrheit ist, daß Willie ohne das Adlerauge und den Rechenschieber seines Buchhalters verloren gewesen wäre. Tong ging stramm auf die Fünfzig zu, sah aber aus wie ein junger Student, schlank, klein, mit einer Matte steifer Haare und immer in Jeans und Turnschuhen. Mit seiner Frau sprach er seit zwölf Jahren kein Wort, obwohl sie noch immer zusammen unter einem Dach wohnten, aber sie ließen sich auch nicht scheiden, weil sie ihre Ersparnisse nicht aufteilen wollten und panische Angst vor seiner Mutter hatten, einer winzigen und furchteinflößenden Greisin, die seit dreißig Jahren in Kalifornien lebte und glaubte, im Süden Chinas zu sein. Die gute Frau sprach nicht ein Wort Englisch, erledigte ihre Einkäufe auf den Märkten in Chinatown, hörte das Radio in Kantonesisch und las die in Mandarin erscheinende Tageszeitung von San Francisco. Tong und ich teilten die Zuneigung für Willie, sie verband uns, auch wenn keiner von uns beiden das Englisch des anderen verstehen konnte. Zu Beginn, als ich frisch eingetroffen war, um mit Willie zu leben, begegnete Tong mir mit atavistischem Argwohn, den er bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Ausdruck brachte.
    »Was hat dein Buchhalter gegen mich?« fragte ich Willie schließlich.
    »Nichts Bestimmtes. Alle Frauen, die ich bisher hatte, sind mich teuer zu stehen gekommen, und da er meine Bücher führt, wäre es ihm lieber, ich lebte im Zölibat.«
    »Erklär ihm, daß ich seit meinem siebzehnten Lebensjahr für meinen Unterhalt selbst aufgekommen bin.«
    Ich nehme an, daß er Tong das sagte, denn der begann mich mit etwas Respekt zu betrachten. Einmal überraschte er mich samstags im Büro dabei, wie ich die Toiletten putzte und staubsaugte; daraufhin verwandelte sich der Respekt in heimliche Bewunderung.
    »Sie heiraten die. Sie putzt«, riet er Willie in seinem etwas limitierten Englisch. Er war der erste, der uns beglückwünschte, als wir unsere Hochzeitspläne bekanntgaben.
    Diese lange Liebe mit Willie ist ein Geschenk gewesen in den reifen Jahren meines Lebens. Als ich mich von deinem Vater scheiden ließ, machte ich mich darauf gefaßt, meinen Weg fortan allein zu gehen, hielt ich es doch für fast ausgeschlossen, daß sich noch einmal jemand mir anschließen würde. Ich bin herrisch, ungebunden, auf meine Sippe fixiert und gehe einer wenig gewöhnlichen Arbeit nach, die erfordert, daß ich die Hälfte meiner Zeit allein, still und abgeschottet verbringe. Wenige Männer halten all das aus. Ich will mich hier nicht mit falscher Bescheidenheit schmücken, ich habe auch gute Eigenschaften. Fällt dir eine ein, Tochter? Also, laß mich überlegen … Nur als Beispiel: Ich erfordere wenig Wartungsaufwand, bin gesund und liebevoll. Du sagtest immer, ich sei lustig und mit mir würde man sich niemals langweilen, aber das ist vorbei. Seit du gegangen bist, macht es mir keinen Spaß mehr, der Sonnensschein jeder Party zu sein. Ich bin introvertierter geworden, du würdest mich nicht wiedererkennen. Es ist ein Wunder, daß ich, als ich am wenigsten damit rechnete, den einzigen Mann fand, der mich auszuhalten in der Lage ist. Gleichzeitigkeit. Zufall. Schicksal würde meine Großmutter sagen. Willie vermutet, daß wir uns in früheren Leben geliebt haben und es in zukünftigen tun werden, aber du weißt ja, wie sehr mich der Gedanke an Karma und Wiedergeburt erschreckt. Ich ziehe es vor, dieses Experiment der Liebe auf ein einziges Leben zu beschränken, was auch schon ziemlich viel ist. Willie kommt mir noch immer so fremd vor! Morgens, wenn er sich rasiert und ich ihn im Spiegel sehe, frage ich mich oft, wer zum Teufel dieser viel zu weiße, viel zu große und nordamerikanische Mann ist und weshalb wir uns im selben Badezimmer befinden. Als wir uns kennenlernten, hatten wir sehr wenig gemeinsam und mußten nach undnach eine

Weitere Kostenlose Bücher