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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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versteckt halten.
    Dieser Vorfall war die Feuerprobe für Lori. Als wir uns im Auto davonmachten, zitterte sie in Amandas Armen. Zweifellos ist es schrecklich, zu sehen, wie jemand, von fünf Schüssen getroffen, auf der Straße verblutet, aber Lori war in New York zwei- oder dreimal überfallen worden und viel in der Welt herumgekommen, sie war nicht zum erstenmal mit Gewalt konfrontiert. Wir anderen hatten die Szene stumm ertragen, Lori aber konnte sie nicht aushalten. Sie reagierte so heftig, daß im Hotel ein Arzt gerufen werden mußte, der ihr ein Beruhigungsmittel gab. Diese heitere junge Frau, die in den Wochen zuvor auch in anstrengenden Situationen ihr Lächeln und in ungemütlicher Lage ihre gute Laune behalten hatte, die wagemutig im Fluß zwischen Piranhas geschwommen war und vier betrunkenen Russen Bescheid gestoßen hatte, als sie ihr und Amanda auf die Pelle rückten – wobei sie Tabra und mich respektvoll wie zwei ukrainische Großmütterchen behandelten –, diese junge Frau brach unter den fünf Schüssen zusammen. Vielleicht würde Lori mit links meine drei Enkelkinder bemuttern und unsere seltsame Familie im Zaum halten, aber als ich sie in diesem Zustand sah, wurde mir klar, daß sie viel verletzlicher war, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Sie würde ein bißchen Unterstützung brauchen.

Kunstgriffe einer Kupplerin
    Die Reise zum Amazonas hatte meine Phantasie angefacht. In wenigen Wochen schrieb ich Aphrodite zu Ende, ergänzte das Buch um die erotischen Rezepte aus Dadás Küche in Bahía und um einige neue, die meine Mutter sich ausgedacht hatte, und dann bat ich Lori, den Band zu gestalten, ein guter Vorwand, um sie weiter aus der Deckung zu locken.
    Amanda war meine Helfershelferin. Einmal nahmen wir drei auf Loris Anregung hin an einem buddhistischen Retreat teil, was hieß, daß wir nach langen Meditationssitzungen in Zellen mit Wänden aus Reispapier auf Matten am Boden schliefen. Zum Meditieren saßen wir stundenlang auf sogenannten Zafus, runden, harten Kissen, die für die spirituelle Übung unerläßlich sind. Wer das Kissen durchhält, hat den halben Weg zur Erleuchtung gemeistert. Die Marter wurde dreimal täglich unterbrochen, um Körner zu essen und bedächtig im Kreis zu gehen, in tiefem Schweigen durch einen japanischen Garten mit zwergenhaften Nadelbäumen und sehr ordentlich hingelegten Steinen. In unserer schmucklosen Zelle erstickten wir abends unser Lachen mit den Zafus, aber dann kam eine Dame mit grauen Zöpfen und sehr hellen Augen und gemahnte uns an die Regeln. »Was soll das für eine Religion sein, wenn man nicht einmal lachen darf ?« wollte Amanda wissen. Ich war etwas beunruhigt, weil Lori diese Stätte des Friedens und Gemurmels zu genießen schien, was zu Nicos unaufgeregtem Wesen zwar passen mochte, sich mit der Aufgabe, drei Kinder großzuziehen, aber schlecht vertrug. Amanda sagte, Lori habe zwei Jahre in Japan gelebt und den Zen-Ballast noch nicht restlos abgeworfen, es bestehe aber kein Grund zur Sorge, das würde sich schon auswachsen.
    Ich lud Lori zusammen mit Amanda und Tabra zu uns nach Hause zum Essen ein und stellte ihr Nico und die beiden Kinder vor, die sie noch nicht kannte und die, verglichen mit Andrea, fast harmlos wirkten. Lori hatte ich erzählt, Nico habe noch an der Scheidung zu knabbern und werde bestimmt nicht leicht eine neue Frau finden, weil keine, die noch ganz bei Trost sei, einen Mann mit drei kleinen Kindern wolle. Gegenüber Nico ließ ich beiläufig fallen, ich hätte die ideale Frau für ihn gefunden, nur sei sie leider älter als er und habe so etwas wie einen Freund, wir müßten also weitersuchen. »Ich glaube, das ist meine Sache«, entgegnete er lächelnd, aber ein Schatten der Panik durchhuschte seinen Blick. Willie gestand ich das Vorhaben, hatte er es doch sowieso bereits erraten, und anstatt mir wie üblich zu sagen, ich solle mich raushalten, legte er sich mächtig ins Zeug, um für Lori ein vegetarisches Menü zu zaubern, denn sie hatte ihm auf den ersten Blick gefallen, er meinte, sie habe Klasse und würde ausgezeichnet in unseren Clan passen. Dir hätte sie auch gefallen, Tochter, ihr habt viel gemeinsam. Bei Tisch wechselten Lori und Nico nicht ein Wort miteinander, ja sahen sich nicht einmal an. Amanda und Tabra waren mit mir einig, daß wir grandios gescheitert waren, aber einen Monat später offenbarte mir mein Sohn, er sei mehrmals mit Lori ausgegangen. Mir ist bis heute schleierhaft, wie er das

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