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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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behüten? Noch ein Rat, den ich nicht beherzige.
    Um mit Nico zu leben und sich in die Sippe einzufügen, mußte Lori ihr Leben vollständig umkrempeln: aus der stilbewußten jungen Frau in der perfekten Singlewohnung in San Francisco wurde eine Ehefrau und Mutter in einem Vorort mit sämtlichen damit einhergehenden lästigen Pflichten. Früher hatte sie jede Kleinigkeit ihres Lebens unter Kontrolle, nun schlug sie sich mit dem Chaos herum, das in einem Haushalt mit Kindern unvermeidlich ist. Sie stand im Morgengrauen auf und fuhr, nachdem alle versorgt waren, in ihr Graphikstudio in San Francisco oder war Stunden auf dem Highway unterwegs zu ihren Kunden in anderen Städten. Ihr blieb keine Zeit mehr zum Lesen, zum Fotografieren, für die Reisen, die sie immer unternommen hatte, ihre vielen Freundschaften und ihre Yoga- und Zenübungen, aber sie war verliebt und übernahm klaglos die Rolle der Ehefrau und Mutter. Im Nu wurde sie von der Familie geschluckt. Damals wußte Lori das nicht, aber es sollte fast zehn Jahre dauern, bis sie – als die Kinder aus dem Gröbsten raus waren – durch eine bewußte Willensanstrengung ihre frühere Identität zurückerobern konnte.
    Lori veränderte Nicos Leben und seine Behausung. Die wuchtigen Möbel, Plastikblumen und grellen Bilder verschwanden. Sie richtete die Wohnung neu ein und legte den Garten an. Das früher kerkerhafte Wohnzimmer strich sie venezianischrot – ich fiel fast in Ohnmacht, als ich die Farbprobe sah, aber das Ergebnis wirkte sehr elegant –, sie kaufte schlanke Möbel und verteilte seidene Sitzkissen hier und da wie in einer Zeitschrift für schöneres Wohnen. Die Bäder dekorierte sie mit Familienfotos, Kerzen und flauschigen Handtüchern in Grün und Brombeerblau. Im Schlafzimmer standen Orchideen, an den Wänden hingen Halsketten, es gab einen Schaukelstuhl, alte Lampen mitgeklöppelten Schirmen und eine japanische Truhe. Man merkte ihr Händchen überall, auch in der Küche, wo sie die Pizzas aus der Mikrowelle und die Coca-Cola-Flaschen durch italienische Gerichte ihrer sizilianischen Urgroßmutter und durch Tofu und Yoghurt ersetzte. Nico kocht eigentlich gern, sein Leibgericht ist Paella Valenciana, die er von dir gelernt hat, aber als er allein war, fehlte es ihm an Zeit und Elan, um sich an den Herd zu stellen. Mit Lori fand er beides wieder. Sie schuf eine Atmosphäre der Geborgenheit, die bitter vermißt worden war, und Nico blühte auf; nie zuvor hatte ich ihn so froh und ausgelassen erlebt. Die beiden gingen Hand in Hand und küßten sich, von den Kindern kaum einmal nicht ausgespäht, hinter geschlossenen Türen, und Tabra, Amanda und ich beglückwünschten uns zu unserer Wahl. Manchmal schneite ich bei ihnen zum Frühstück herein, weil mir der Anblick dieser glücklichen Familie den ganzen Tag verschönte. Die Morgensonne schien in die Küche, durchs Fenster sah man den Garten und ein Stück weiter den See mit den Wildenten. Nico stellte einen Berg Pfannkuchen her, Lori schnitt Obst, und die Kinder, mit verwuschelten Haaren und im Schlafanzug, mampften fröhlich drauflos. Die drei waren noch sehr klein und allem gegenüber aufgeschlossen. Die Stimmung war heiter und liebevoll, ein Segen nach den Krankheiten und Todesfällen, der Scheidung und den Streitereien, die wir so lange hatten ertragen müssen.

Eine infernalische Schwiegermutter
    Ich sagte eben, ich sei »manchmal« bei Nico und Lori hereingeschneit, aber um ehrlich zu sein, hatte ich einen Schlüssel und war schlecht erzogen: Ich tauchte unangemeldet auf, wann ich wollte, mischte mich ins Leben meiner Enkel ein, behandelte Nico wie ein kleines Kind … kurz, ich war eine unausstehliche Schwiegermutter. Einmal kaufte ich einen Teppich und legte ihn den beiden, ohne sie um Erlaubnis zu fragen, ins Wohnzimmer, wofür ich sämtliche Möbel umstellen mußte. Ich dachte nicht darüber nach, daß jemand, dem es eingefallen wäre, als kleine Überraschung meine Wohnung umzudekorieren, von mir eins über den Schädel bekommen hätte. Du hättest mir den Teppich zurückgebracht und Tacheles mit mir geredet, Paula, allerdings hätte ich auch nie gewagt, dir einen Perserteppich von drei auf fünf Metern aufzudrängen. Lori bedankte sich dafür, bleich zwar, aber höflich. Ein andermal kaufte ich den beiden feine Küchenhandtücher und warf ihre alten Lappen fort, ohne zu ahnen, daß sie Loris verstorbener Großmutter gehört hatten und von ihr seit zwanzig Jahren wie Schätze gehütet wurden.

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