Das Siegel der Tage
Unter dem Vorwand, meine Enkel wachküssen zu wollen, stahl ich mich in aller Frühe in ihr Haus. Und so begegnete Lori nicht selten, wenn sie frühmorgens halbbekleidet das Bad verließ, im Flur ihrer Schwiegermutter. Außerdem traf ich mich heimlich mit Celia, was in gewisser Weise ein Verrat an Lori war, auch wenn ich das unmöglich so sehen konnte. Immer spielte das Schicksal mir einen Streich, und Nico erfuhr von diesen Begegnungen. Sicher, ich sah Celia und Sally viel seltener als früher, aber ich brach den Kontakt nie ganz ab, weil ich überzeugt war, wir würden mit der Zeit in ein friedlicheres Fahrwasser finden. Auf meiner Seite sammelten sich Ausflüchte undHeimlichtuereien, bei Nico sammelte sich der Groll. Lori verstand die Welt nicht mehr, alles um sie her war in Bewegung, nichts davon klar und eindeutig. Sie konnte nicht nachvollziehen, daß mein Sohn und ich in allem offen miteinander umgingen, es sei denn, es betraf Celia. Lori war es, die uns schließlich drängte, ehrlich zu sein, weil sie die dicke Luft nicht länger ertrug und sich fragte, wie lange wir das reinigende Gewitter noch hinauszögern wollten. Ich muß wohl nicht betonen, daß wir mehr als eins erlebten.
»Ich kann den Kontakt zu Celia nicht vollständig abbrechen, erwarte aber, daß wir zivilisiert und so wenig wie möglich miteinander umgehen. Sie ist ungehobelt und bringt mich mit ihrer fiesen Art und damit, daß sie ständig die Spielregeln ändert, auf die Palme. Alles, was wir gemeinsam haben, sind die Kinder, aber wenn du dich einmischst, gerät alles durcheinander«, erklärte mir Nico.
»Ich verstehe dich ja, aber für mich ist es anders. Du bist mein Sohn, und ich liebe dich. Meine Freundschaft mit Celia hat mit dir und Lori nichts zu tun.«
»Doch, Mama. Dir macht es etwas aus, wenn Celia Probleme hat. Und was ist mit mir? Immerhin ist alles wegen ihr, wie es ist, sie hat unsere Familie kaputtgemacht, hat getan, was sie tun wollte, und das bleibt nicht ohne Folgen.«
»Ich will keine Teilzeitgroßmutter sein, Nico. Ich muß die Kinder auch sehen können, wenn sie bei Celia und Sally sind.«
»Das kann ich dir nicht verbieten, aber du solltest wissen, daß es mich kränkt und aufregt. Du behandelst Celia wie die verlorene Tochter. Aber sie wird Paula niemals ersetzen, falls es das ist, was du willst. Du fühlst dich ihr gegenüber in der Schuld, weil sie bei dir war, als meine Schwester starb, aber ich war auch da. Je weiter du auf Celia zugehst, desto weiter gehen Lori und ich von dir weg, so ist das nun mal.«
»Ach, Nico! Für zwischenmenschliche Beziehungen gibt es keine starren Regeln, man kann sie neu erfinden, wirkönnten Pioniere sein. Mit der Zeit verraucht der Zorn, und die Wunden heilen …«
»Ja, aber das wird mich Celia nicht näherbringen, das darfst du mir glauben. Hast du etwa viel mit meinem Vater zu tun oder Willie mit seinen Ex-Frauen? Wir haben eine Scheidung hinter uns. Ich möchte einen Sicherheitsabstand zu Celia, damit ich durchatmen und mein eigenes Leben führen kann.«
An einem denkwürdigen Abend kamen Nico und Lori zu mir, um mir zu sagen, daß ich mich zu sehr in ihr Leben einmischte. Sie bemühten sich, es mir schonend beizubringen, aber vor Schreck blieb mir trotzdem fast das Herz stehen. Dann bekam ich einen kindischen Wutanfall, überzeugt, mir widerfahre das schlimmste Unrecht. Mein Sohn verbannte mich aus seinem Leben! Er verlangte von mir, seine Erziehungsregeln nicht zu untergraben: weder Eiscreme vor dem Abendessen noch Geld oder Geschenke, wenn es keinen echten Anlaß gab, noch Fernsehen um Mitternacht. Wozu hat man dann eine Großmutter? Wollte er, daß ich völlig vereinsamte? Willie zeigte sich solidarisch, amüsierte sich aber im Grunde über mich. Lori sei schließlich genauso unabhängig wie ich, sagte er, sie habe jahrelang allein gelebt und sei es nicht gewohnt, daß Leute uneingeladen durch ihre Wohnung spazierten. Und was mir einfalle, einer Designerin einen Teppich ins Wohnzimmer zu legen!
Sobald ich meiner Verzweiflung einigermaßen Herr geworden war, rief ich in Chile bei meinen Eltern an, die erst das Problem nicht recht verstanden, weil die Beziehungen in chilenischen Familien allgemein so sind, wie ich sie Nico und Lori hatte aufnötigen wollen. Aber dann besannen sie sich darauf, was in den Vereinigten Staaten üblich ist: »Tochter, man kommt auf diese Welt, um alles zu verlieren. Sich von materiellen Dingen zu trennen ist ein Klacks, schwierig ist es, die
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