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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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de santo rieb die Muscheln lange zwischen den Händen, ließ mich darüber streichen und warf sie schließlich auf ein schwarzes Tuch. »Du gehörst zu Yemayá, der Göttin der Meere, Mutter von allem. Mit Yemayá beginnt das Leben. Sie ist stark, eine Hüterin, sie sorgt für ihre Kinder, ermutigt sie und tröstet sie über Kummer hinweg. Sie kann die Unfruchtbarkeit der Frauen heilen. Yemayá ist verständnisvoll, doch kann ihr Zorn fürchterlich sein wie ein Sturm auf dem offenen Meer.« Dann sagte sie noch, ich sei durch ein schweres Leid gegangen, das mich lange gelähmt habe, mir nun jedoch nach und nach leichter werde. Tabra, die an solche Sachen nicht glaubt, mußte zugeben, daßzumindest die Beschreibung der Mutter gut zu mir paßte. »Ein Glückstreffer«, war ihre Erklärung.
    Vom Flugzeug aus gesehen, ist das Amazonasgebiet ein endloses Grün, vom Erdboden aus das Reich des Wassers: Nebelschwaden, Regen, Flüsse, breit wie Meere, Schweiß. Das Amazonasgebiet umfaßt sechzig Prozent der Fläche Brasiliens und Teile von Venezuela, Kolumbien, Peru und Ecuador, ein Gebiet größer als Indien. In einigen Regionen herrscht noch immer das »Gesetz des Dschungels«, wird mit Gold, Drogen, Holz und Wildtieren gehandelt, bringen die Banditen sich gegenseitig um und rotten die Ureinwohner ungestraft aus oder sorgen, falls das nicht gelingt, dafür, daß sie ihre angestammten Gebiete verlassen. Es ist eine Welt für sich, geheimnisvoll und faszinierend. Mir schien sie so unbegreiflich in ihren Ausmaßen, daß ich mir nicht hätte vorstellen können, sie je als Quelle der Inspiration zu nutzen, aber Jahre später konnte ich viel von dem, was ich sah, in meinem ersten Jugendbuch verwenden.
    Die Einzelheiten unserer Reise müssen hier unerwähnt bleiben, aber man kann sagen, daß sie kaum die gewünschten Gefahren bot und wir uns umsonst auf ein Tarzan-Abenteuer eingestellt hatten. Der Tarzangeschichte am nächsten kam noch, daß sich eine verlauste schwarze Affendame in mich verliebte, die mich frühmorgens vor meiner Zimmertür erwartete, auf meine Schulter kletterte, mir ihren Schwanz um den Hals ringelte und mit ihren Feenfingerchen mein Haar nach Flöhen absuchte. Es war eine delikate Romanze. Alles übrige war ein Spaziergang für Ökotouristen: Die Moskitos waren erträglich, die Piranhas nagten uns nicht an, und wir mußten uns nicht vor Giftpfeilen in acht nehmen. Für Schmuggler, Soldaten und Drogenhändler waren wir Luft. Von Malaria blieben wir verschont. Es bohrten sich keine Würmer unter unsere Haut, und in unsere Harnwege schlüpften keine nadelfeinen Fische. Allevier Teilnehmerinnen überstanden die Expedition gesund und wohlbehalten. Und doch war das kleine Abenteuer ein voller Erfolg, denn ich lernte Lori kennen.

Fünf Schüsse
    Lori bestand alle Prüfungen mit Bestnote. Sie war genau, wie Amanda sie beschrieben hatte: ein klarer Kopf und ein freundliches Wesen. Diskret und effektiv machte sie ihren Gefährtinnen die Reise angenehmer, kümmerte sich um lästigen Kleinkram und sorgte dafür, daß die unvermeidlichen Reibereien nicht eskalierten. Sie besaß gute Manieren, die für ein gesundes Miteinander unverzichtbar sind, lange Beine, die jedenfalls nicht schaden, und ein herzliches Lachen, das Nico zweifellos den Kopf verdrehen würde. Daß sie ein paar Jahre älter war als er, hatte nur Vorteile, denn Erfahrung ist immer gut, und sie sah sehr jung aus. Sie war hübsch, hatte ein markantes Gesicht, wundervolle dunkle Locken und goldbraune Augen, was alles weiter keine Rolle spielte, weil mein Sohn auf Äußerlichkeiten überhaupt keinen Wert legt; er neckt mich, weil ich Make-up benutze, und will nicht glauben, daß ich abgeschminkt wie ein Polizeiobermeister aussehe. Ich beobachtete Lori mit Argusaugen und stellte ihr sogar ein paar Fallen, konnte jedoch keinen einzigen Makel an ihr finden. Das beunruhigte mich ein bißchen.
    Nach zwei Wochen landeten wir erschöpft in Rio de Janeiro, von wo aus wir heim nach Kalifornien fliegen sollten. Wir hatten Zimmer in einem Hotel an der Copacabana, aber anstatt uns am weißen Sandstrand in die Sonne zu legen, wollten wir lieber eine Favela besuchen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie die Armen hier lebten, und um eine Wahrsagerin für ein zweites jogo de búzios aufzusuchen, weil Tabra nicht aufhörte, mich mit meiner Göttin Yemayá aufzuziehen. Zusammen mit einer brasilianischen Journalistin und einem Fahrer machten wir uns in einem Kleinbus auf

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