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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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als weit weniger gefährlich als erwartet. Amanda und Lori hatten alles bis in die Einzelheiten geplant, und wir erreichten mühelos Manaus, nachdem wir für einige Tage in Bahía gewesen waren, um Jorge Amado kennenzulernen. Tabra und ich hatten alle seine Bücher gelesen und wollten herausfinden, ob er als Mensch ebenso außergewöhnlich ist wie als Schriftsteller.
    Amado und seine Frau, Zélia Gattai, empfingen uns herzlich und gastfreundlich bei sich zu Hause. Der vierundachtzigjährige Autor saß in einem Lehnsessel, war halb blind und ziemlich krank, jedoch weiterhin im Besitz des Humors und der Klugheit, die seine Romane auszeichnen. Er war der geistige Vater von Bahía, überall fanden sich Zitate aus seinen Büchern: in Stein gemeißelt, als Schriftzug an den Gebäuden der Stadtverwaltung, als Graffiti oder dick mit Farbe auf die Hütten der Armen gemalt. Plätze und Straßen trugen stolz die Titel seiner Bücher und Namen seiner Romanfiguren. Amado lud uns ein, die Gaumenfreuden seiner Heimat im Restaurant der schönen schwarzen Dadá zu probieren, die ihn nicht zu dem Roman Doña Flor und ihre zwei Ehemänner inspiriert hatte, da sie noch ein Kind war, als er ihn schrieb, die aber der Figur aus dem Buch glich wieein Ei dem anderen: hübsch, klein und auf angenehme Weise fleischig, ohne fett zu sein. Diese zum Leben erweckte Doña Flor bewirtete uns mit über zwanzig köstlichen Gerichten und einer Auswahl ihrer Desserts, die in punhetinha genannten Törtchen gipfelten, was im lokalen Slang »Masturbation« heißt. Eine wahre Schatztruhe für mein Buch Aphrodite !
    Der betagte Schriftsteller brachte uns außerdem in einen terreiro , ein Gotteshaus, dessen Schirmherr er war, damit wir an einem Gottesdienst des Candomblé teilnahmen, einer Religion, die vor Jahrhunderten von den Sklaven aus Afrika nach Brasilen gebracht wurde und dort heute mehr als zwei Millionen Anhänger hat, auch weiße Städter aus der Mittelschicht. Die Zeremonie hatte früh mit der Opferung einiger Tiere für die Gottheiten, die Orixás , begonnen, aber diesen Teil hatten wir verpaßt. Der Raum erinnerte an ein bescheidenes Klassenzimmer, geschmückt mit Krepp-Papier und Fotografien von Mães , Priesterinnen, die schon verstorben waren. Wir setzten uns auf harte Holzbänke, und kurz darauf kamen die Musiker und begannen auf ihren Trommeln einen unwiderstehlichen Rhythmus zu schlagen. In einer langen Reihe zogen weißgekleidete Frauen in den Saal, drehten sich mit erhobenen Armen um einen heiligen Pfosten und riefen die Orixás herbei. Eine nach der anderen fielen die Frauen in Trance. Kein Schaum vorm Mund, keine heftigen Krämpfe, keine schwarzen Schleier oder Schlangen, keine furchteinflößenden Masken oder bluttriefenden Hühnerköpfe. Die älteren Frauen brachten diejenigen, die, von den Göttern »bestiegen«, zu Boden fielen, in einen Nebenraum und führten sie dann, in die bunten Gewänder ihrer Gottheit gehüllt, wieder zurück, damit sie weiter bis zum Sonnenaufgang tanzten, wenn die Zeremonie mit einem üppigen Mahl aus dem gegrillten Fleisch der Opfertiere, Maniok und Süßspeisen endete.
    Man hatte mir erklärt, daß jeder Mensch einem Orixá gehört – zuweilen auch mehreren – und jederzeit von seiner Gottheit beansprucht werden kann, in deren Dienst er sich dann zu stellen hat. Ich wollte herausfinden, welches meine Gottheit war. Vor Jahren hatte mich das Buch von Jean Shinoda Bolen, meiner Mitschwester vom Durcheinander, über die Göttinnen in jeder Frau etwas ratlos zurückgelassen. Vielleicht würde der Candomblé eindeutiger sein. Eine Mãe de santo , eine gewaltige Frau, die ein zeltgroßes mit Rüschen und Spitze verziertes Etwas trug, einen Turban aus mehreren Tüchern und einen Wasserfall aus Halsketten und Armbändern, führte das jogo de búzios für uns durch, das heißt, sie »warf die Muscheln«. Ich drängte Lori, sich als erste das Schicksal weissagen zu lassen, und die Muscheln sprachen rätselhaft von einer neuen Liebe zu »jemandem, den sie kennt, aber noch nicht gesehen hat«. Tabra und ich hatten viel von Nico gesprochen, unsere Absichten aber immer sorgsam zu verbergen gewußt; jedenfalls mußte Lori inzwischen eine Vorstellung von Nico haben, oder sie war mit ihren Gedanken immer anderswo gewesen. »Werde ich Kinder haben?« fragte sie nach. Drei, antworteten die Muscheln. Mir entfuhr ein erfreutes »Aha!«, aber Tabras Blick brachte mich wieder zur Vernunft. Dann war ich an der Reihe. Die Mãe

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