Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
schaute nachdenklich in ihre Richtung und obwohl er auf der anderen
Seite des Festplatzes stand und in ein Gespräch mit Athene und Zeus vertieft
schien, war sie sich sicher, dass er sie im Auge hatte und nicht an ihr vorbei
sah. Ein unheimlicher Schauer überkam die junge Halbgöttin in diesem Moment und
sie musste wieder an den vergangenen Vorfall im Sitzungssaal denken. Er hatte
ihr das Leben gerettet. Und dennoch war er nur hinter ihr her, wie jeder andere
dieser Heuchler auch.
„Du
solltest dich erst mal zurückziehen. Du siehst ziemlich mitgenommen aus!“ Besorgt
strich Apollon über ihre bleich gewordene Wange und lächelte sie an. Er hatte Recht.
Diese ganze Veranstaltung war zu viel für sie. Sie war einfach noch nicht
soweit und vielleicht würde sie auch niemals soweit sein.
Zögernd
nickte sie ihm zu und ohne einen weiteren Augenblick darüber nachzudenken,
warum der Sonnengott sie anstarrte oder was Aphrodite mit ihren verwirrenden
Worten gemeint hatte, entfernte sie sich von der feierwütigen Meute und stieg
die Treppen hinauf. Sie sah sich nicht noch einmal um, blickte nicht noch
einmal in die Gesichter der Fremden, die sie am nächsten Tag so oder so nicht
wiedererkennen würden und schaute sich auch nicht nach ihrem Vater um, der,
sobald er ihr Verschwinden bemerken, Athene losschicken würde, um sie wieder
zurückzuholen.
Eine
halbe Ewigkeit, jedenfalls kam es ihr so vor, stand sie an der Balustrade neben
der großen Freitreppe und blickte auf die kleiner werdende Göttermenge hinab.
Die Sonne versank am Horizont immer mehr im Boden und wurde langsam eins mit ihm.
Man hatte sie nicht gesucht oder sich nach ihr umgesehen. Sie hatten sie wahrscheinlich
nicht einmal vermisst, doch in diesem einen Moment der wohltuenden Einsamkeit
war ihr dies auch ganz recht.
Mit
einem verdächtigen Blick der Anwiderung musterte sie die leichtbekleideten
Frauen, die sich wie leichte Mädchen an die Götter ohne Begleitung heranwarfen
und diese verführen wollten. Nymphen, da musste Serena nicht lange überlegen. Auf
Helios und ihren Bruder Apollon hatten sie es besonders abgesehen und ließen
ihnen kaum einen ruhigen Moment. Im Gegensatz zu ihrem Bruder, würgte der
gutaussehende Sonnengott jedoch jeden Kontaktversuch ihrerseits ab und zeigte
ihnen unbeeindruckt die kalte Schulter. Er wirkte für einen Jahrtausend alten
Gott auf sie wie ein junger Mann, der es alleine mit seinen Blicken verstand,
Nymphen und Göttinnen reihenweise den Kopf zu verdrehen und dennoch schien er seiner
Gemahlin treu zu bleiben und das obwohl es ihm an Auswahl sicherlich nicht
fehlen dürfte, doch vielleicht hatte er auch einfach nichts für die unreifen
Mädchen übrig und bewies somit im Gegensatz zu ihrem Bruder Apollon, der ihnen
geradezu verfallen war, eine gewisse Würde. Sie alle waren gleich, diese
Nymphen. Nur wenige entsprachen nicht dem Bild, das man auf Anhieb von ihnen
hatte. Selbstsüchtige, leicht reizbare Wesen und ohne Frage, schien unter ihnen
sogar eine Art Wettbewerbsdrang zu herrschen, wer von ihnen die Schönere sei.
Bei diesem Gedanken erinnerte sie sich wieder an ihre feindselige Schwester,
deren Worte ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten. Ihre Hände vergruben
sich dabei im inzwischen runtergekühlten Marmor der Balustrade.
„Halbblut
- Eine unzivilisierte Beleidigung für ein halb sterblich, halb göttliches Kind.
In den adligen Kreisen des Olymps wird solch ein Ausdruck eigentlich nicht
toleriert …“
Langsam
wandte Serena ihren Kopf um. Helios. Sie war so sehr in Gedanken vertieft, dass
sie überhaupt nicht mitbekommen hatte, dass er die Freitreppe zu ihr hoch
gekommen war und sich nun, nur wenige Meter neben sie, an die Balustrade lehnte
und in die untergehende Sonne schaute.
Auf
seinen plumpen Versuch, ein Gespräch mit ihr zu beginnen, ging sie erst gar
nicht ein. Ihr stand der Kopf nicht danach. Aus diesem Grund wandte sie sich
schnell wieder von ihm ab und sah den Nymphen bei ihrem zügellosen Treiben zu.
„Ihre
Worte müssen euch sehr verletzt …“
„Sie
haben mich nicht verletzt!“, fuhr sie plötzlich ungehalten dazwischen, als
fühle sie sich durch seine Worte angegriffen. Sie konnte nicht sagen, woher er
so genau wusste, was Aphrodite zu ihr gesagt hatte, vielleicht konnte er Lippen
lesen, vielleicht hatte aber auch ihr Bruder im Beisein des Gottes von der
unliebsamen Auseinandersetzung erzählt, doch im Grunde wollte sie es gar
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