Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
sie fröstelte unter dem Wind, der ihr durch die blonden Locken fuhr und ihr ein paar Haarsträhnen, die dem Band entwischt waren, ins Gesicht wehte. Sie sollte ihr Haar wieder ein Stück schneiden, bevor es sie noch mädchenhafter erscheinen ließ.
Alle waren froh, die Stadt Santo Domingo zu erreichen, die sich im flachen Tal des Río Oja ausbreitete.
In gerader Linie führte die Straße vom Stadttor kommend immer weiter, bis die Kirchenmauern vor ihnen aufragten und die Gasse zwangen, in einem Bogen nach Süden auszuweichen. Es schien, als habe man das Gotteshaus mitten auf die Straße gebaut.
»Gut beobachtet«, stimmte Pater Bertran zu, als Juliana ihre Gedanken aussprach. »Der heilige Domingo hat hier an der Oja als Einsiedler gelebt. Er wollte einst Mönch von San Millán werden, dem berühmten Kloster einen Tagesmarsch südlich von hier, aber – nun, es tut nichts zur Sache, warum er dort nicht aufgenommen wurde. Jedenfalls zog er sich hierher an die Oja zurück. Die Pilger, die so beschwerlich über den Fluss gelangen mussten, dauerten ihn, also begann er, eine Brücke und eine gepflasterte Straße – eine Calzada, wie man hier sagt – zu bauen. Ja, die ganze Stadt mit dem großen Spital, das ihr dort drüben auf der anderen Seite des Platzes seht, ist sein Werk!«
»Ein fleißiger Mann«, warf der Bettelmönch ein.« Sein verwilderter Bart teilte sich zu einem Grinsen.
»Ja!«, bestätigte der dürre Pater scharf. »Das war er. Er hat auch noch andere Brücken gebaut und ausgebessert. Und deshalb
hat man ihn geheiligt, hier mitten auf seiner Straße begraben und eine Kathedrale über seinem Grab errichtet.«
»Du siehst, Johannes, in diesem Land werden nicht Märtyrer, sondern Baumeister heilig gesprochen«, spottete der Bettelmönch.
Der Augustinerpater warf Bruder Rupert einen bösen Blick zu, schwieg aber. Die Pilgergruppe schritt an der geöffneten Kirchentür und dem daneben aufragenden Turm vorbei, als ein durchdringendes Krähen Juliana innehalten ließ.
»Das hat sich angehört, als käme es aus der Kirche.«
»Es kam aus der Kirche!«, bestätigte Bruder Rupert.
»Was ist das für eine Stadt, in der man Hühner in seinem Gotteshaus frei herumlaufen lässt«, wunderte sich das Ritterfräulein.
»Sie laufen nicht frei herum, sie sitzen in einem Käfig«, berichtigte der Augustinerpater.
»Das muss ich mir ansehen«, rief das Mädchen und trat in das Kirchenschiff. Sie folgte dem Gackern bis nach vorn ins Querschiff und blieb dann vor einem kunstvoll geschmiedeten Käfig stehen, in dem ein Henne und ein prächtiger Hahn saßen.
»Das ist ja seltsam«, wunderte sie sich und sah sich nach Pater Bertran um, der mit den anderen zu ihr trat. Der Pater verhüllte seinen fast nackten Schädel mit der schwarzen Kapuze seines Habits und neigte den Kopf vor dem Altar.
»Sie erinnern an ein Wunder, das der heilige Domingo hier gewirkt hat.«
Da das Mädchen ihn gespannt ansah, begann er, die Geschichte, von einer Familie aus Ad Sanctus im Münsterland, die auf ihrer Pilgerreise hier in der Stadt in einer Herberge eingekehrt war, zu erzählen. »Eine Magd fand an dem blonden Sohn der Leute Gefallen und wollte ihn verführen. Hatte er nicht für Sankt Jakob ein Gelübde abgelegt? Und er widerstand der Verlockung des Weibes. Die Verschmähte wurde zornig und versteckte einen silbernen Becher in seinem Bündel. Als die Familie am folgenden Tag ihre Pilgerreise fortsetzen wollte, schickte
sie ihm die Büttel hinterher. Tatsächlich fanden sie den vermissten Becher in der Tasche des Jünglings. Die Büttel schleppten ihn zur Stadt zurück. Der Stadtrichter verurteilte den jungen Mann und ließ ihn aufhängen.
Juliana schlug sich die Hand vor den Mund. »Wie schändlich! Durfte er sich denn gar nicht verteidigen? Oh, welch große Pein muss die Magd in der Hölle erwartet haben. Fühlte sie denn gar keine Reue?«
Bruder Rupert grinste, der Pater jedoch ließ sich nicht verunsichern, sondern erzählte weiter.
»Bevor die Eltern ihre Pilgerreise fortsetzten, zogen sie voller Gram an den Ort, wo ihr Sohn am Galgen den Tod gefunden hatte. Aber, welch Wunder, plötzlich hörten sie seine Stimme. Er lebte, Santo Domingo selbst stützte ihm die Füße!«
»Das ist ja unglaublich«, stieß André aus, der ebenfalls atemlos zugehört hatte.
Ritter Raymond de Crest dagegen schlenderte mit gelangweilter Miene durch die Kirche und verschwand dann durch das Portal.
»Die Eltern liefen zum Stadtrichter, der
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